Auch nach mehr als anderthalb Jahren Pandemie schreibt das Corona-Virus weiterhin und fortlaufend Rechtsgeschichte. Im Fokus stehen dabei neben den anlassbezogenen Verordnungen und Gesetzen natürlich auch „traditionelle“ Vorschriften und Rechtsfragen. Der Pandemieverlauf ab Ende des Jahres 2020 mit hohen Fallzahlen führte zu einer noch höheren Anzahl von Personen, die sich wegen des Kontakts zu Infizierten in behördlich angeordneter Isolierung (Quarantäne) befanden. Auf die Frage, ob die Zeit in Quarantäne auf Urlaubstage angerechnet wird, die mit der Quarantänezeit zusammenfallen, geben nun erste Gerichtsentscheidungen eine Antwort.
II. § 9 Bundesurlaubsgesetz
Der jedem Arbeitnehmer zustehende bezahlte Erholungsurlaub ist im Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) geregelt. Nach ständiger Rechtsprechung fallen Ereignisse, die den Urlaub stören könnten, als Teil des sogenannten persönlichen Lebensrisikos grundsätzlich in den Gefahrenbereich des Arbeitnehmers. Etwas Anderes gilt nur bei Vorliegen einer ausdrücklichen gesetzlichen oder tarifvertraglichen Regelung. Eine solche Ausnahme sieht § 9 BUrlG vor. Danach werden die Tage einer Erkrankung (1.), die zu einer Arbeitsunfähigkeit führt, welche durch ärztliches Zeugnis (2.) nachgewiesen wird, nicht auf den Jahresurlaub des Arbeitnehmers angerechnet. Ist die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers nämlich bereits durch die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Arztes (AU) aufgehoben, kann diese Pflicht nicht parallel durch einen zweiten Grund, nämlich die Inanspruchnahme des Urlaubs, entfallen. Der Arbeitnehmer behält daher in einem solchen Fall seinen Urlaubsanspruch.
1. – „Erkrankung“
Das Arbeitsgericht Halle musste die Frage entscheiden, ob § 9 BUrlG auch auf solche Tage angewendet werden kann, die aufgrund behördlicher Anordnung während eines zuvor bereits genehmigten Erholungsurlaubs in Quarantäne verbracht werden mussten (ArbG Halle, Urteil vom 23.06.2021 – 4 Ca 285/21). Der nicht erkrankte Arbeitnehmer machte geltend, die Urlaubstage, die er aufgrund der Quarantäne nicht adäquat habe in Anspruch nehmen können, seien ihm noch zu gewähren. Sein Urlaubsanspruch sei insoweit nicht erfüllt.
Zwar erkannte das Gericht an, dass die Interessenlage im Fall der angeordneten Quarantäne eine ähnliche sei wie im Fall einer durch AU nachgewiesenen Erkrankung. Jedoch stelle § 9 BUrlG – wie oben geschildert – eine Ausnahmevorschrift dar, die nur auf den dort beschriebenen Tatbestand und gerade nicht auf die häusliche Quarantäne Anwendung finde. Bei der Quarantäne sei die betroffene Person gerade nicht selber erkrankt im Sinne des § 9 BUrlG, sondern „nur“ „Ansteckungsverdächtige/r“ im Sinne des § 2 Ziff. 7 IfSG. Für diesen Fall sehe der Gesetzgeber keine Abweichung vom oben beschriebenen Grundsatz vor, dass eben nach Urlaubsgewährung der Arbeitnehmer selber das Risiko für die Realisierung des Urlaubszwecks trage. Auch habe der Gesetzgeber im Rahmen der umfangreichen Gesetzgebungsvorhaben während der Corona-Zeit bewusst weder eine Änderung des § 9 BUrlG vorgenommen, noch habe er eine Sondervorschrift für eine Quarantäneanordnung während der Urlaubszeit geschaffen. Im Ergebnis verbrachte der Arbeitnehmer also mehrere Tage parallel im „Urlaub“ und in Quarantäne. Nach Auffassung des Arbeitsgerichts Halle hat der Arbeitgeber den Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers auch im Hinblick auf die Tage erfüllt, während derer er sich in häuslicher Quarantäne befand. Eine Nachgewährung komme daher nicht in Betracht.
2. – „Ärztliches Zeugnis“
Selbst eine Erkrankung führt nicht automatisch dazu, dass diese auch gemäß § 9 BUrlG berücksichtigt wird. In einem zweiten Fall musste sich das Arbeitsgericht Bonn mit der Frage auseinandersetzen, wie mit einer Arbeitnehmerin zu verfahren sei, deren „Arbeitsunfähigkeit“ nicht durch eine AU, sondern allein mittels behördlicher Isolierungsanordnung dokumentiert worden war (ArbG Bonn, Urteil vom 07.07.2021, 2 Ca 504/21). Die Arbeitnehmerin hatte ebenfalls bereits Erholungsurlaub beantragt und verbrachte – ohne Krankheitssymptome aufzuweisen – aufgrund eines positiven Infektionstests mehrere Tage in häuslicher Isolation. Diese war nach dem Test behördlich angeordnet worden. Ein ärztliches Zeugnis lag dagegen nicht vor.
Auch das Arbeitsgericht Bonn stellte sich auf den Standpunkt, § 9 BUrlG sei auf diesen Fall nicht anwendbar. Voraussetzung für eine Anwendbarkeit der Vorschrift sei, dass der Arbeitnehmer die Arbeitsunfähigkeit durch AU nachweise. Denn die Beurteilung, ob eine Erkrankung im Einzelfall zur Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers führe, stehe allein dem Arzt zu. Die behördlichen Verfügungen stellten zwar fest, dass die Arbeitnehmerin an SARS-CoV-2 erkrankt sei. Eine ärztliche Beurteilung der Arbeitsfähigkeit im Sinne des § 9 BUrlG gehe damit jedoch nicht einher. Es falle besonders ins Gewicht, dass im Zeitraum der „Erkrankung“ die Ausstellung einer AU sogar per telefonischer Anamnese möglich gewesen sei. Außerdem bestehe bei einem symptomlosen Verlauf sowie bei entsprechenden Bedingungen des Arbeitsplatzes die Möglichkeit, die Arbeitsleistung von zu Hause aus zu erbringen. Sei der Arbeitnehmer in solcher Weise arbeitsfähig, könne der Zweck des BUrlG, „nämlich die Erholung des Arbeitnehmers von seiner Arbeitsleistung, mit der Urlaubsgewährung dennoch erreicht werden“ (ArbG Bonn, Urteil vom 07.07.2021, 2 Ca 504/21, Rn. 46). Dann fehle es jedoch an einer Sachlage, die – auch nach der bereits beschriebenen Risikoverteilung – eine entsprechende Anwendung des § 9 BUrlG auf den vorliegenden Fall rechtfertigen würde. Mithin wurden auch hier die Tage, die in Isolation verbracht wurden, auf den Jahresurlaub angerechnet.
III. Unser Tipp
Weitere Entscheidungen zu diesem Fragenkomplex werden sicherlich folgen und auch eine höchstrichterliche Bewertung ist zu gegebener Zeit zu erwarten. Es bleibt abzuwarten, ob sich die bisherige Vorgehensweise der Gerichte, § 9 BUrlG konsequent eng auszulegen, fortsetzen wird. An streitigen Fällen wird es nicht mangeln. Dies gilt vor allem deshalb, weil aufgrund des Beschlusses der Gesundheitsminister des Bundes und der Länder ab dem 01.11.2021 an nicht gegen das Corona-Virus geimpfte Personen, die die Möglichkeit hatten, sich impfen zu lassen, keine Quarantäne- Entschädigung nach dem IfSG mehr gezahlt werden wird. In NRW gilt dies bereits ab dem 11.10.2021. Wir werden die Entwicklung der Rechtsprechung für Sie beobachten und helfen Ihnen gerne bei der Begutachtung der in Ihrem Unternehmen auftretenden Sachverhalte.