I. Einleitung
Regelmäßig gehen bei Betriebsübergängen die Arbeitsverhältnisse vom Betriebsveräußerer auf den Erwerber über. Machen Arbeitnehmer jedoch von ihrem Widerspruchsrecht gemäß § 613a Abs. 5 BGB Gebrauch, führt dies dazu, dass die Arbeitsverhältnisse gerade nicht auf den Betriebserwerber übergehen, sondern vielmehr beim ursprünglichen Arbeitgeber verbleiben. Da der ursprüngliche Arbeitgeber allerdings im Regelfall keinen weiteren Beschäftigungsbedarf für die widersprechenden Arbeitnehmer haben wird, wird er die Arbeitsverhältnisse kündigen und sieht sich in der Folge einem potentiell erheblichen Annahmeverzugsrisiko ausgesetzt. Diesem Risiko kann im Rahmen der Betriebsveräußerung mit verschiedenen ökonomischen und rechtlichen Lösungsansätzen begegnet werden.
Eine Möglichkeit ist dabei die Beschäftigung der widersprechenden Arbeitnehmer als Leiharbeitnehmer beim Betriebserwerber nach dem sog. „Rückverleihmodell“. Noch nicht geklärt war bisher allerdings, ob der Arbeitnehmer ein solches Angebot über einen Leiharbeitsvertrag wegen Unzumutbarkeit ausschlagen durfte, ohne seinen Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs gemäß § 615 S. 2 BGB zu verkürzen. Dieser Regelung zufolge darf er jedenfalls nicht „böswillig anderen Verdienst“ unterlassen. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in Bezug auf diese Frage nun für Klarheit gesorgt.
II. Grundsatz: Betriebsübergang und Risiko des Widerspruchs
Bei Übertragungen von Betrieben oder auch Betriebsteilen gilt im Grundsatz, dass der Erwerber mit allen Rechten und Pflichten in die bereits bestehenden Arbeitsverhältnisse eintritt und der Arbeitnehmer somit bei gleichbleibendem Arbeitsplatz einen neuen Arbeitgeber als Vertragspartner erhält. Damit dem zivilrechtlichen Grundsatz der Vertragsfreiheit ausreichend Rechnung getragen wird, sieht der Gesetzgeber in § 613a Abs. 5 BGB ein Widerspruchsrecht vor. Der Arbeitnehmer soll nicht gezwungen werden, mit einem anderen als dem von ihm gewählten Arbeitgeber einen Vertrag abschließen zu müssen. Da der Veräußerer nicht weiß, wie viele seiner Arbeitnehmer von ihrem Widerspruchsrecht Gebrauch machen werden, kann er auch nicht kalkulieren, wie hoch die Kosten für die mangels Beschäftigungsmöglichkeit dann notwendigen Kündigungen sein werden. Das Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitnehmer, der dem Betriebsübergang widerspricht, bleibt beim Betriebsveräußerer mit der Folge, dass der Arbeitnehmer grundsätzlich gegen den ursprünglichen Arbeitgeber auch einen Vergütungsanspruch hat. Der ursprüngliche Arbeitgeber ist aufgrund der Betriebsübertragung in der Regel nicht in der Lage, den Arbeitnehmer weiter vertragsgerecht zu beschäftigen, weil der Arbeitsplatz des Arbeitnehmers mit der Übertragung des Betriebs auf den Erwerber übergegangen ist. Der ursprüngliche Arbeitgeber wird daher den widersprechenden Arbeitnehmer mangels Beschäftigungsbedarf regelmäßig kündigen. Für den Zeitraum der Kündigungsfrist sowie eines etwaigen Kündigungsschutzprozesses besteht für den ursprünglichen Arbeitgeber das Risiko, dem widersprechenden Arbeitnehmer eine Vergütung wegen Annahmeverzugs gemäß § 615 S. 2 BGB zahlen zu müssen. Nach § 615 S. 2 BGB kann der Arbeitnehmer den versprochenen Lohn verlangen, wenn der Arbeitgeber die Arbeitsleistung unberechtigterweise abgelehnt hat. Allerdings muss sich der Arbeitnehmer auf dieses Gehalt das anrechnen lassen, was er im Verzugszeitraum durch anderweitigen Arbeitseinsatz verdient oder böswillig zu verdienen unterlässt. Um diesen Betrag ist dann sein Anspruch gegen den Arbeitgeber gemindert.
An der Anrechnung von böswillig unterlassenem anderweitigen Verdienst setzt das sog. Rückverleihmodell im Rahmen von Unternehmenskäufen an. Hierbei vereinbaren Veräußerer und Erwerber, dass, für den Fall des Widerspruchs nach § 613a Abs. 5 BGB, der widersprechende Arbeitnehmer als Leiharbeitnehmer befristet auf seiner ursprünglichen Position im Betrieb eingesetzt wird. Der Erwerber verpflichtet sich dazu, für den Zeitraum der Arbeitnehmerüberlassung, das ursprüngliche Gehalt des widersprechenden Arbeitnehmers an den Veräußerer auszuzahlen. Auf diese Weise verbleibt das Arbeitsverhältnis bei dem Veräußerer als ursprünglichem Arbeitgeber, wie durch den Widerspruch bewirkt, während lediglich das Direktionsrecht auf den entleihenden Betriebserwerber übergeht.
Eine solche Vereinbarung findet regelmäßig auch die übereinstimmende Zustimmung von Erwerber und Veräußerer. Der Erwerber hat ein Interesse daran, dass der Betrieb bzw. Betriebsteil weiterhin ohne unvorhersehbaren „Know-How“-Verlust fortgeführt werden kann. Der Veräußerer muss in der Regel das Kostenrisiko etwaiger Widersprüche tragen und wird somit eine Regelung begrüßen, nach der diese etwaigen Kosten durch den Entleiher, also den Erwerber, getragen oder zumindest reduziert werden.
III. Sachverhalt der Entscheidung
Gegenstand des Verfahrens vor dem BAG war der Streit über die Rechtmäßigkeit einer infolge eines Betriebsteilübergangs ausgesprochenen Kündigung sowie die Vergütung wegen Annahmeverzugs. Die Klägerin war kaufmännische Arbeitnehmerin eines Unternehmens, das den Geschäftsbereich, in dem sie tätig war, 2019 an einen Investor veräußerte. Nachdem die Arbeitnehmerin im Mai 2019 von dem Betriebsteilübergang erfahren hatte, widersprach sie nach § 613a Abs. 5 BGB dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses. Da das veräußernde mit dem erwerbenden Unternehmen ein Rückverleihmodell vereinbart hatte, wurde der Arbeitnehmerin von ihrem bisherigen Arbeitgeber ein Angebot über eine Tätigkeit als Leiharbeitnehmerin bei der Erwerberin unterbreitet. Dieses lehnte sie jedoch ab, so dass der bisherige Arbeitgeber ihr mitteilte, dass er sie ab August 2019 nicht mehr weiter beschäftigen könne und die Gehaltszahlungen einstellen werde. Die zeitweise arbeitsunfähig erkrankte Klägerin machte, neben einem Entgeltfortzahlungs- sowie einem Urlaubsentgeltanspruch, den Vergütungsanspruch wegen Annahmeverzugs geltend.
IV. Entscheidung des BAG
Das BAG kommt zu dem Ergebnis, dass das Angebot des Betriebsveräußerers über den Abschluss eines Leiharbeitnehmervertrags zur Beschäftigung beim Betriebserwerber einen zumutbaren anderweitigen Verdienst i.S.d. § 615 S. 2 BGB darstellt. Da die Arbeitnehmerin das Angebot der befristeten Tätigkeit für den Erwerber nicht angenommen habe, habe sie böswillig anderweitigen Verdienst unterlassen. Folglich scheide ein Anspruch auf Annahmeverzugslohn gegen den bisherigen Arbeitgeber, den Betriebsveräußerer, aus. In der Urteilsbegründung führt das BAG aus, dass sich die der Klägerin angebotene Tätigkeit als solche nicht von ihrer bisherigen Tätigkeit unterschieden habe, da sie unter denselben Konditionen die gleiche Arbeit am gleichen Arbeitsort hätte erbringen sollen. Die einzige Änderung habe darin bestanden, dass die Arbeitnehmerin ihre Arbeitsleistung für einen Dritten, den Erwerber, hätte erbringen müssen. Warum dies konkret nicht zumutbar gewesen sei, habe die Klägerin nicht vorgetragen.
Das BAG führt aus, von der Klägerin sei nicht ausreichend dargelegt worden, inwiefern das auf den Dritten, nämlich den Betriebserwerber, übergegangene Direktionsrecht mit unzumutbaren Nachteilen für sie verbunden gewesen sei. Auch eine fehlende Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis stelle keinen entsprechenden Nachteil im Rahmen der Zumutbarkeitsüberprüfung dar.
Das BAG verweist auf den Normzweck des § 615 S. 2 BGB. Die Klägerin müsse sich nicht nur die unterlassene Übernahme einer vertragsgerechten, sondern auch die unterlassene Übernahme einer nur „zumutbaren“, Arbeit anrechnen lassen. § 615 Satz 2 BGB betreffe nicht die Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsvertrag. Vielmehr solle mit dieser Regelung die nach anderen Maßstäben zu beurteilende Obliegenheit geregelt werden, aus Rücksichtnahme gegenüber dem Arbeitgeber einen zumutbaren Zwischenverdienst zu erzielen.
V. Fazit und Praxishinweis
Die Entscheidung des BAG stellt insbesondere für den Bereich M&A einen tauglichen Praxishinweis dar. So wird die Methode des Rückverleihs im Rahmen des Betriebsübergangs eindeutig bestätigt und somit ein gangbarer Weg für Unternehmenskäufe aufgezeigt, um das Kostenrisiko der Personalplanung einzugrenzen. Gleichzeitig folgt aus der dargestellten Entscheidung, dass bei entsprechender Vereinbarung zwischen Veräußerer und Erwerber der Widerspruch eines Arbeitnehmers bei Betriebsübergängen in den meisten Fällen an Attraktivität verliert und somit das kaum planbare unternehmerische Risiko von Widersprüchen gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses minimiert wird. Das klassischerweise beim Veräußerer angesiedelte Kostenrisiko der Annahmeverzugslöhne wird auf diese Weise weitestgehend reduziert. Die Vereinbarung eines Rückverleihs ist für die Parteien des Unternehmenskaufs auch regelmäßig interessengerecht, da einerseits der Erwerber zumeist ein Interesse an der Fortführung des Betriebs durch eine erfahrene Kraft haben wird und anderseits der Veräußerer bei entsprechender Vereinbarung keine wirtschaftliche Absicherung für den Annahmeverzugslohn in die Kaufpreiskalkulation einbeziehen muss.
Nach dieser begrüßenswerten Entscheidung des BAG sollte bei der Gestaltung von Unternehmenskaufverträgen bezüglich des Kostenrisikos durch widersprechende Arbeitnehmer grundsätzlich die Vereinbarung eines Rückverleihmodells in den Blick genommen werden.