Obwohl der eigentliche Schuldner der Lohnsteuer der Arbeitnehmer als Lohnempfänger ist, treffen den Arbeitgeber im Zusammenhang mit der Lohnsteuer eine Reihe von Pflichten. Während einer Lohnsteuer-Außenprüfung wird durch die Finanzverwaltung genau prüft, ob der Arbeitgeber diesen Pflichten nachgekommen ist. Kommt es wegen etwaiger Pflichtverletzungen zu Steuerausfällen, wird hierfür nicht selten der Arbeitgeber vom Finanzamt über einen Haftungsbescheid in Anspruch genommen. Die Pflichtverletzungen können dabei unterschiedlichster Natur sein und sich darauf auswirken, wer für den Steuerschaden zu haften hat. Der BFH hatte jüngst zu entscheiden, was das Finanzamt bei der Auswahl des Haftungsschuldners bei einem Verstoß gegen die gesetzlichen Lohnsteuervorgaben zu beachten hat.
I. Hintergrund: Lohnsteuerklassen und Arbeitgeberhaftung
Der steuerrechtliche Hintergrund des vom BFH zu entscheidenden Falls besteht vorliegend in der Zuordnung der Arbeitnehmer zu Lohnsteuerklassen und den Anforderungen an das behördliche Ermessen bei der Auswahl des Haftungsschuldners.
1. Einreihung in Lohnsteuerklassen
Die Höhe der Lohnsteuer richtet sich zwar gemäß § 38a Abs. 1 EStG grundsätzlich zuerst nach der Höhe des Arbeitslohns, bei der Ermittlung der Lohnsteuer werden allerdings nach § 38a Abs. 4 EStG die Einreihung der Arbeitnehmer in Steuerklassen und sonstige Feststellungen von Freibeträgen und Hinzurechnungsbeträgen nach § 39a EStG sowie andere elektronisch bereitgestellte Lohnsteuerabzugsmerkmale berücksichtigt.
Gesetzlich ist in § 38b Abs. 1 Satz 1 EStG für die Durchführung des Lohnsteuerabzugs die Einreihung der Arbeitnehmer in Steuerklassen vorgegeben. Die Einreihung in die Steuerklassen I bis VI hängt dabei von verschiedenen persönlichen Merkmalen ab, wie etwa vom Familienstand des Arbeitnehmers oder ob der Arbeitnehmer nebeneinander von mehreren Arbeitgebern Lohn bezieht (Nebenjobs). Von dieser Einreihung hängt dann wiederum beispielsweise ab, inwiefern etwa der Arbeitnehmer-Pauschbetrag berücksichtigt wird. Denn nach § 39b Abs. 2 Satz 5 Nr. 1 EStG ist dieser im Rahmen des Lohnsteuereinbehalts nur bei den Arbeitnehmern in den Steuerklassen I bis V zu berücksichtigen. Dies hat sodann Auswirkungen auf die Höhe der einzubehaltenden Lohnsteuer. Liegen dem Arbeitgeber etwaige Lohnsteuerabzugsmerkmale nicht vor und hat er auch keine Möglichkeit, diese Merkmale elektronisch abzurufen, ist der Arbeitnehmer nach § 39c Abs. 1 Satz 1 EStG in die Steuerklasse VI einzureihen, sodass hier zunächst etwa der Arbeitnehmer-Pauschbetrag nicht zu berücksichtigen ist.
2. Haftung für zu wenig einbehaltene Lohnsteuer
Da zwar der Arbeitnehmer nach § 38 Abs. 2 Satz 1 EStG der Schuldner der Lohnsteuer ist und hierfür originär haftet, der Arbeitgeber aber für die korrekte Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer zu sorgen hat, kann dieser neben dem Arbeitnehmer in Haftung genommen werden. Gesetzlich ist der Grundsatz der Haftung des Arbeitgebers in § 42d Abs. 1 EStG geregelt. Ausnahmen hiervon gelten nach § 42d Abs. 2 EStG etwa für Fälle, in denen es der Arbeitnehmer unterlassen hat, das Finanzamt darüber zu informieren, dass bei ihm die Voraussetzungen für eine für ihn ungünstigere Steuerklasse eingetreten sind. Nach § 42d Abs. 3 Satz 4 EStG wird der Arbeitnehmer im Rahmen der Gesamtschuldnerschaft nur in Anspruch genommen, wenn der Arbeitgeber die Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig vom Arbeitslohn einbehalten hat oder wenn der Arbeitnehmer weiß, dass der Arbeitgeber die einbehaltene Lohnsteuer nicht vorschriftmäßig angemeldet hat.
Auf Seiten des Arbeitgebers kann zudem unter Umständen das für diesen in bestimmter Funktion tätige Führungspersonal in Haftung genommen werden. Dies gilt insbesondere für die Geschäftsführung einer GmbH oder AG, da diese die steuerlichen Pflichten der GmbH bzw. AG nach § 34 Abs. 1 Satz 1 AO zu erfüllen hat. Werden diese steuerlichen Pflichten verletzt und entsteht hierdurch ein Steuerschaden, können auch Geschäftsführer bzw. Vorstände nach § 69 Satz 1 AO in Haftung genommen werden, wenn diese die Pflichtverletzung vorsätzlich oder grob fahrlässig begangen haben.
Die konkrete Inanspruchnahme des Schuldners erfolgt nach § 191 Abs. 1 Satz 1 AO durch Haftungsbescheid. Bei mehreren Schuldnern hat das Betriebsstättenfinanzamt die Auswahl des Haftungsschuldners nach der Ausübung pflichtgemäßen Ermessens zu treffen, § 42d Abs. 3 Satz 2 EStG. Allerdings bedarf es nach § 42d Abs. 4 Satz 1 EStG für die Inanspruchnahme des Arbeitgebers dann keines Haftungsbescheids, wenn dieser die einzubehaltende Lohnsteuer angemeldet oder er nach Abschluss einer Lohnsteuer-Außenprüfung seine Zahlungsverpflichtung schriftlich anerkannt hat. Die Möglichkeiten, das Ermessen gerichtlich überprüfen zu lassen, sind allerdings beschränkt. Nach § 102 Satz 1 FGO kann durch das Gericht nur geprüft werden, ob der (Haftungs)Bescheid deswegen rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten worden sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der jeweiligen Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist.
II. BFH zum Auswahlermessen beim Lohnsteuer-Haftungsbescheid
Mit Urteil vom 02.09.2021 (Az. VI R 47/18) erklärte der BFH einen Lohnsteuer-Haftungsbescheid gegen den Arbeitgeber als rechtswidrig, da das Finanzamt das Auswahlermessen unterschritten hatte.
In dem Ausgangsfall fiel im Rahmen einer Lohnsteuer-Außenprüfung auf, dass der Arbeitgeber, eine inländische GmbH, für seine ca. 200 Arbeitnehmer, die größtenteils aus dem Ausland stammten und weder ihren Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatten, die Lohnsteuer unter Anwendung der Lohnsteuerklassen I bzw. III anstelle der Steuerklasse VI berechnete, einbehielt und abführte, obwohl er (teilweise) nicht auf die elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale zugreifen konnte. In diesem Zusammenhang wurde sodann gegen den Geschäftsführer der Arbeitgeberfirma wegen des Verdachts der Lohnsteuerhinterziehung durch Abgabe falscher Lohnsteuer-Anmeldungen ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaft eingeleitet und in der Folge auch Anklage vor dem zuständigen Amtsgericht erhoben. Das Finanzamt erließ im Nachgang an die Lohnsteuer-Außenprüfung gegen den Arbeitgeber zunächst einen Haftungsbescheid über noch offene Lohnsteuer in Höhe von € 191.662,69. Nachdem der Arbeitgeber teilweise Unterlagen zu den betroffenen Arbeitnehmern vorlegen konnte, reduzierte das Finanzamt den Haftungsbetrag auf € 177.298,19. Die Klage gegen diesen Lohnsteuer-Haftungsbescheid lehnte das Finanzgericht ab.
Im Rahmen der Revision gegen dieses Urteil hob der BFH den Haftungsbescheid in letzter Instanz auf und führte in seinem Urteil aus, dass die Finanzbehörde in einem Lohnsteuer-Haftungsbescheid insbesondere zum Ausdruck bringen muss, warum sie den Haftungsschuldner anstatt des Steuerschuldners oder anstelle anderer ebenfalls für die Haftung in Betracht kommender Personen in Anspruch nimmt. Die Finanzbehörde hatte nämlich in ihrem Haftungsbescheid lediglich den Arbeitgeber und die jeweiligen betroffenen Arbeitnehmer in den Blick genommen und deren Haftung abgewogen. Ausführungen zur möglichen Haftung des Geschäftsführers fehlten indes vollständig. Dieser komme laut BFH aber insbesondere dann in Betracht, wenn der Fehler bei der Lohnsteuer offensichtlich sei und gegen den verantwortlichen Geschäftsführer Anklage wegen des Verdachts der Lohnsteuerhinterziehung erhoben worden ist. Denn in diesem Fall sei die Voraussetzung der Vertreterhaftung nach §§ 34, 35, 69 AO, vorliegend speziell die vorsätzliche Pflichtverletzung, evident. Ist gleichwohl nur auf den Arbeitgeber und den Arbeitnehmer abgestellt worden, hat die Behörde im Rahmen der Ermessensausübung den Sachverhalt nur unvollständig gewürdigt, was eine gerichtlich anfechtbare Unterschreitung des Ermessens darstellt.
III. Fazit
Bei der Inanspruchnahme durch Haftungsbescheid muss die Behörde erkennen lassen, dass sie zwischen allen in Frage kommenden Schuldnern abgewogen hat. Lässt der Haftungsbescheid dies nicht erkennen, fehlen also in der Begründung des Lohnsteuer-Haftungsbescheids Erwägungen zu einem möglichen Haftungsschuldner gänzlich, kann dieser Mangel allein schon ausreichend sein, um den Haftungsbescheid erfolgreich anzufechten. Typischerweise bei im Raum stehenden Steuerstraftaten der Geschäftsführung kommt daher ein weiterer Haftungsschuldner in Betracht, der bei der Ermessensausübung nicht übersehen werden darf. Für die Geschäftsführung kommt eine Haftungsinanspruchnahme nur in Betracht, wenn die Pflichtverletzung im Zusammenhang mit der Lohnsteuer vorsätzlich oder grob fahrlässig begangen worden ist. Daher sollte bei lohnsteuerrechtlichen Fragestellungen stets fachkundiger Rat eingeholt werden.