Der Gewerbemietvertrag in der Insolvenz
I. Einführung
Anlässlich der Stagnation der deutschen Wirtschaft und insbesondere der Immobilienwirtschaft (hier insbesondere die anhaltende Flaute auf dem Transaktionsmarkt und die zu niedrige Zahl der Neubauten) gibt es derzeit genügend praktische Anlässe, sich mit den Regelungen und Handlungsmöglichkeiten im Falle der Insolvenz einer der Mietvertragsparteien zu befassen. Dieser Beitrag soll einen kurzen Überblick über die aus Sicht der Verfasser wichtigsten Themen geben und Handlungsmöglichkeiten zur Absicherung des Vertragsverhältnisses für den Fall der Insolvenz einer der Vertragsparteien aufzeigen. Die Ausführungen gelten dabei in gleichem Maße auch für Pachtverhältnisse, auf deren stete Erwähnung jedoch aus Gründen der besseren Lesbarkeit verzichtet wird.
II. Insolvenzgründe und die Regelungen der InsO
Das deutsche Recht kennt grundsätzlich drei Gründe für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens (vgl. § 16 InsO). Allgemeiner Eröffnungsgrund ist die Zahlungsunfähigkeit nach § 17 InsO, die vorliegt, wenn der Schuldner nicht mehr in der Lage ist, seine fälligen Zahlungsverbindlichkeiten zu erfüllen. Spezielle Eröffnungsgründe sind die drohende Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO sowie die Überschuldung nach § 19 InsO. Die drohende Zahlungsunfähigkeit kommt im Falle eines Eigenantrags des Schuldners als Eröffnungsgrund in Betracht und erfordert, dass der Schuldner voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, seine fälligen Verbindlichkeiten zu begleichen. Bei einer juristischen Person kommt als weiterer Eröffnungsgrund die Überschuldung nach § 19 InsO in Betracht, die vorliegt, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich.
Im Falle der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung haben die Mitglieder des Vertretungsorgans oder die Abwickler des betroffenen Unternehmens – im Folgenden aus Gründen der Einheitlichkeit der Betrachtung und wegen der überwiegenden Praxis stets eine juristische Person – ohne schuldhaftes Zögern einen Eröffnungsantrag nach § 15a Abs. 1 InsO zu stellen. Grundsätzlich löst das Vorliegen einer drohenden Zahlungsunfähigkeit keine Antragspflicht aus. Häufig liegt aufgrund der Nähe der Tatbestandsvoraussetzungen im Fall der drohenden Zahlungsunfähigkeit einer juristischen Person jedoch ebenfalls der Insolvenztatbestand der Überschuldung vor, so dass die Frage nach der Antragspflicht obsolet wird.
Die Rechtswirkungen der Insolvenz und damit die mietrechtlich relevanten Vorschriften der Insolvenzordnung gelten ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens infolge eines Insolvenzantrags. Der Antrag kann nach § 13 Abs. 1 InsO entweder von einem Gläubiger oder vom Schuldner selbst gestellt werden. Ein Tätigwerden von Amts wegen kommt nicht in Betracht.
Die Pflicht zur Stellung des Insolvenzantrags ist dabei keine bloße Obliegenheit des Unternehmens und seiner Organe. Die Insolvenzverschleppung, also die verspätete – nicht unverzügliche – Stellung eines Insolvenzantrags, hat eine strafrechtliche und haftungsrechtliche Dimension für die Organe.
Nach Stellung des Insolvenzantrags prüft das Insolvenzgericht das Vorliegen der Eröffnungsgründe, gegebenenfalls unter Zuhilfenahme eines vorläufigen Insolvenzverwalters, der je nach Entscheidung oder Ermächtigung des Insolvenzgerichts unterschiedliche Verfügungsbefugnisse über das Vermögen des Schuldners hat (vgl. hierzu Ziffer III.4.).
Wurde vom insolventen Schuldner ein gewerblicher Mietvertrag über unbewegliche Gegenstände (namentlich also Grundstücke, wesentliche Grundstücksbestandteile und Gebäude, vgl. § 49 InsO) abgeschlossen, bleibt dieser nach der gesetzlichen Grundsatzentscheidung des § 108 InsO im Falle der Insolvenz einer Vertragspartei zunächst bestehen. Der Insolvenzverwalter tritt nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens an Stelle der insolventen Mietpartei in das Vertragsverhältnis ein (§ 80 Abs. 1 InsO). Voraussetzung ist jedoch, dass das Mietverhältnis zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung noch fortbesteht; für bereits zuvor beendete Vertragsverhältnisse gilt § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht.
Die Kernregelungen der Insolvenzordnung in Bezug auf den bereits zum Zeitpunkt der Insolvenz abgeschlossenen gewerblichen Mietvertrag finden sich im Folgenden in den §§ 108 bis 112 InsO.
Hinsichtlich der Ansprüche aus einem Mietverhältnis ist zu unterscheiden, ob es sich bei den Forderungen um Insolvenzforderungen oder Masseforderungen handelt.
1. Insolvenzforderung
Insolvenzforderungen sind Forderungen, die bereits bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestehen (§ 38 InsO). Maßgeblicher Zeitpunkt ist demnach die Verfahrenseröffnung. Die Befriedigung erfolgt im Sinne der Gläubigergleichbehandlung in Form einer quotalen Befriedigung durch die Insolvenzmasse, soweit betroffene Gläubiger ihre Forderungen zur Insolvenztabelle anmelden (§§ 174 ff. InsO) und ausreichend Insolvenzmasse zur Verfügung steht. Damit ist klar, dass Insolvenzforderungen bereits ihrer Natur nach in der Regel weniger werthaltig sind als ihr Nennwert. Einem Vermieter können jedoch unter Umständen Absonderungsrechte aus Vermieterpfandrechten nach § 50 InsO zustehen, die ihm ermöglichen sich selbst vorzugsweise aus den Pfandgegenständen des insolventen Mieters zu befriedigen (vgl. dazu im Detail Ziffer III.3.).
2. Masseforderung
Vorrangig - also vor den Insolvenzforderungen - sind die sogenannten Masseforderungen aus der Insolvenzmasse zu befriedigen. Masseverbindlichkeiten sind Verbindlichkeiten, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstehen. Dies sind neben den Kosten des Verfahrens und der Vergütung des Insolvenzverwalters insbesondere Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters begründet wurden, Forderungen aus gegenseitigen Verträgen, die nach Verfahrenseröffnung durch den Insolvenzverwalter in Anspruch genommen werden (vgl. § 55 Abs. 1 InsO) oder Forderungen aus Dauerschuldverhältnissen wie Mietverträgen, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit Wirkung für die Insolvenzmasse fortbestehen.
3. Zeitliche Zäsur
Der Unterscheidung, ob es sich bei einer Forderung aus dem Mietverhältnis um eine Insolvenzforderung oder eine Masseforderung handelt, kommt im Rahmen von Mietverhältnissen aufgrund des Fortbestehens des Vertragsverhältnisses mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine besondere Bedeutung zu. Maßgeblicher Referenzzeitpunkt ist dabei wie erläutert die Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch Beschluss des Insolvenzgerichts unter Nennung des exakten Zeitpunkts der Eröffnung.
Ansprüche aus der Zeit vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind demnach bloße Insolvenzforderungen und keine Masseforderungen. Hierzu zählen beispielhaft Bodenkontaminationen, durch den Mieter verursachte Schäden am Mietgegenstand, der Anspruch auf insolvenzfeste Anlage der Mietsicherheit des Mieters sowie der Räumungsanspruch des Vermieters.
Ansprüche, die erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstehen, sei es durch Handlungen des Verwalters in Abhängigkeit seiner Befugnisse oder durch bloßen Zeitablauf wie bei der Miete und den Nebenkosten (i.d.R. Fälligkeit zum dritten Werktag eines Monats), sind Masseforderungen. Für die diesbezügliche Einordnung der Nebenkosten ist insoweit ihr Entstehungszeitpunkt maßgeblich, nicht der Zeitpunkt der tatsächlichen Abrechnung.
4. Wirkung der Stellung des vorläufigen Insolvenzverwalters
Eine Ausnahme von der zeitlichen Zäsur bei der Betrachtung der Qualität einer Forderung aus einem Mietverhältnis bildet die Ausgestaltung der Stellung des vorläufigen Insolvenzverwalters durch das Insolvenzgericht. Grundsätzlich wird in der Praxis zwischen einem so genannten „starken“ und einem „schwachen“ Verwalter unterschieden, was jeweils von der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Verwalters über das Vermögen des Schuldners vor Verfahrenseröffnung abhängt.
Die von einem verwaltungs- und verfügungsbefugten vorläufigen Insolvenzverwalter begründeten Mietverbindlichkeiten gelten nach Verfahrenseröffnung als Masseverbindlichkeiten, soweit der Verwalter die entsprechende Gegenleistung aus dem von ihm verwalteten Vermögen vereinnahmt hat (§ 55 Abs. 2 InsO). Dies setzt voraus, dass der vorläufige Insolvenzverwalter die dem Schuldner bereits überlassene Mietsache in Besitz nimmt und in einer Weise nutzt, die dem verwalteten Vermögen tatsächlich zugutekommt. Insoweit geht § 55 Abs. 2 InsO der grundsätzlich maßgeblichen zeitlichen Zäsur des § 108 Abs. 3 InsO vor.
III. Mieterinsolvenz
1. Beendigungsmöglichkeiten
Im Fall der Insolvenz des Mieters hat bezüglich der Beendigungsmöglichkeiten des Vertragsverhältnisses für beide Parteien eine zeitliche Differenzierung zu erfolgen.
a. Vor Überlassung des Mietgegenstandes
Liegt der Insolvenzzeitpunkt vor der Überlassung des Mietgegenstandes an den Mieter, also regelmäßig vor der Übergabe, so können sowohl der Vermieter als auch der Insolvenzverwalter über das Vermögen des Mieters vom Mietvertrag gemäß § 109 Abs. 2 Satz 1 InsO zurücktreten.
Für den Fall, dass der Insolvenzverwalter des Mieters von seinem Rücktrittsrecht Gebrauch macht, steht dem Vermieter als Insolvenzgläubiger ein Schadensersatzanspruch zu. Dieser Anspruch ist aufgrund der gesetzlichen Anordnung aus § 109 Abs. 2 Satz 2 BGB eine Insolvenzforderung.
Dabei hat jede Partei das Recht, die jeweils andere zur Erklärung aufzufordern, ob sie von ihrem Rücktrittsrecht Gebrauch machen wird. In diesem Fall ist der Rücktritt durch die aufgeforderte Partei innerhalb von zwei Wochen zu erklären. Anderenfalls entfällt das Rücktrittsrecht. Das Rücktrittsrecht entfällt weiterhin, wenn der Mietgegenstand übergeben wird.
b. Kündigungsrecht des Verwalters
Wurde der Mietgegenstand dem Mieter bereits überlassen und tritt erst danach die Insolvenz des Mieters ein, so besteht das Mietverhältnis nach § 108 Abs. 1 InsO grundsätzlich fort. Forderungen aus dem Mietverhältnis werden in gegenseitigem Leistungsaustausch aus der Insolvenzmasse befriedigt (Ziffer II.2.). Zur Schonung der Masse steht dem Insolvenzverwalter des Mieters gemäß § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO jedoch ein einseitiges Kündigungsrecht zu. Dieses Kündigungsrecht durchbricht dabei die Abreden der Mietvertragsparteien in Bezug auf die ggf. feste Laufzeit des Mietvertrags und den etwaigen Ausschluss der Möglichkeit zur ordentlichen Kündigung. Das Kündigungsrecht des Insolvenzverwalters (nicht aber des nur vorläufig bestellten Verwalters) ist mit einer Frist von vollen drei Monaten zum Monatsende auszuüben, sofern nicht eine kürzere vertragliche Frist eingreift. Dabei kann die Kündigung während des gesamten Insolvenzverfahrens erklärt werden und ist nur durch den Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben zeitlich beschränkt. Der Umstand, dass der Insolvenzverwalter des Mieters das Kündigungsrecht erst Jahre nach dem Insolvenzantrag ausübt, reicht für den Wegfall des Kündigungsrechts an sich wohl nicht aus, was dieses Gestaltungsrecht für den Vermieter besonders einschneidend macht.
Auch hier steht dem Vermieter im Falle der Kündigung des Mietverhältnisses durch den Insolvenzverwalter ein Schadensersatzanspruch zu, der jedoch ebenso wie im Falle des Rücktritts (Ziffer III.1.) eine Insolvenzforderung darstellt.
c. Untermietverhältnis des Mieters
Wenn der insolvente Mieter das Mietobjekt an einen Dritten untervermietet hat, besteht sowohl das Hauptmietverhältnis als auch der Untermietvertrag nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO fort. Jedoch steht dem Insolvenzverwalter des Untervermieters gegenüber dem Untermieter kein Sonderkündigungsrecht zu. Gemäß § 109 Abs. 1 InsO kann er nur das Hauptmietverhältnis kündigen. Er ist nur in diesem Verhältnis Mieter. Im Anschluss an eine insolvenzbedingte Kündigung kann der Insolvenzverwalter des Untervermieters den Anspruch des Untermieters auf Überlassung des Mietobjekts jedoch nicht mehr erfüllen. Der dadurch auftretende rechtliche Mangel (§ 536 Abs. 3 BGB) im Untermietverhältnis entsteht erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und ist auf eine Handlung des Insolvenzverwalters zurückzuführen. Der daraus resultierende Schadensersatzanspruch des Untermieters gegen den Untervermieter gemäß §§ 536a, 536 Abs. 3 BGB und der Rückgabeanspruch des Vermieters aus dem Hauptmietverhältnis aus § 546 Abs. 2 BGB stellen daher Masseverbindlichkeiten im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 dar, soweit das Untermietverhältnis einem gewerblichen Zweck dient und § 565 BGB dementsprechend keine Anwendung findet. Mangels Beendigung des Untermietverhältnisses durch Kündigung des Hauptmietverhältnisses (s.o.) sind die § 109 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 Satz 2 InsO in diesem Verhältnis nicht anwendbar.
d. Mehrere Mieter
Entgegen des Wortlautes des § 109 Abs. 1 InsO beendet die Kündigung des Insolvenzverwalters im Fall der Insolvenz eines von mehreren Mietern das Mietverhältnis nach herrschender Meinung insgesamt und nicht nur im Verhältnis zwischen dem insolventen Mieter und dem Vermieter. Der BGH (BGH, Urt. v. 13.03.2013 - XII ZR 34/12) begründet dies zum einen mit dem Schutzzweck der Kündigungsvorschrift, die die Insolvenzmasse vor dem Anwachsen von weiteren, nicht wirtschaftlichen Verbindlichkeiten aus dem Mietverhältnis schützen soll; zum anderen mit dem allgemeinen Bedürfnis nach Rechtssicherheit. Nach Ansicht des BGH hänge die Kündigungswirkung anderenfalls davon ab, ob die weiteren Mieter den Mietvertrag nur zu dem Zweck abgeschlossen haben, dass dem Vermieter eine Mehrzahl von Gläubigern zu Verfügung steht, oder ob sie ein eigenes Nutzungsinteresse an der Mietsache verfolgen. Der BGH folgert dies aus dem Grundsatz der Einheitlichkeit des Mietverhältnisses und der Unteilbarkeit der Verpflichtung des Vermieters zur Gebrauchsüberlassung an mehrere Mieter. Grundsätzlich können Gestaltungsrechte wie die Kündigung nur einheitlich gegenüber allen Parteien eines Vertrags ausgeübt werden. Eine Teilkündigung ist grundsätzlich nicht möglich. Durch den Abschluss des Mietvertrags mit mehreren Mietern besteht nur ein einheitliches Rechtsverhältnis und kein Rechtverhältnis mit jedem Mieter.
e. Kein Kündigungsrecht des Vermieters
Anders als der für den Mieter handelnde Verwalter ist der Vermieter nach Antragstellung an den in Vollzug gesetzten Mietvertrag gebunden. Ihm steht nach § 112 InsO weder ein Kündigungsrecht wegen Zahlungsverzugs aus der Zeit vor dem Insolvenzantrag des Mieters, wegen dauernder unpünktlicher Mietzahlungen oder wegen Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Mieters noch ein Sonderkündigungsrecht wegen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu. Dem Verwalter und damit der Masse soll nicht ohne Not die Handlungsbasis für die wirtschaftliche Tätigkeit des Mieters entzogen werden, da diese in der Regel zur Fortführung des Unternehmens essenziell ist.
Die Sperrwirkung des § 112 InsO knüpft an den Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung an, genauer gesagt an den Zeitpunkt des Eingangs des Antrags beim Insolvenzgericht. Kündigungen des Vermieters, die in diese Kündigungssperre fallen, sind unwirksam, wenn sie dem Mieter oder seinem Verwalter erst nach Eingang des Antrags bei Gericht zugehen.
Die Sperrwirkung besteht solange der Insolvenzbeschlag des Vermögens besteht. Wird die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt oder der Antrag zurückgenommen, greifen die bei Antragstellung bestehenden und fortbestehenden Kündigungsgründe des Vermieters wieder voll durch. Eine unwirksame Kündigung ist jedoch erneut zu erklären.
Zu beachten ist ferner, dass Mietrückstände des Mieters in der Zeit nach Stellung des Eröffnungsantrags nicht der Sperrwirkung des § 112 InsO unterfallen. Zahlt der Verwalter die Miete also nicht oder nicht vollständig, kann dies den Vermieter auch während der Insolvenz des Mieters zur Kündigung berechtigen.
2. Forderungen des Vermieters
Mietforderungen des Vermieters aus der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind zur Insolvenztabelle anzumelden (§ 108 Abs. 3 InsO). Dagegen ist die Mietforderung, die auf den Monat der Eröffnung des Insolvenzverfahrens selbst entfällt, ab der Eröffnung anteilig eine Masseverbindlichkeit, wenn der Mietvertrag nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 108 Abs. 1 InsO fortbesteht. Die fortlaufenden Mieten sind ebenfalls Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 InsO).
Der Vermieter kann sich wegen dieser offenen Forderungen nicht auf ein Zurückbehaltungsrecht berufen und der Insolvenzmasse den Gebrauch der Mietsache entziehen. Eine vom Mieter vor Einleitung des Verfahrens geleistete Kaution kann der Vermieter als Sicherheit behalten. Wird der Rückzahlungsanspruch fällig, so kann er im Rahmen seiner Abrechnung mit allen ihm zustehenden Gegenforderungen aufrechnen. Ein Aufrechnungsverbot besteht insoweit nicht (§ 94 InsO).
3. Vermieterpfandrecht
In der Praxis spielt das Vermieterpfandrecht eine herausragende Rolle. Es gewährt dem Vermieter gemäß § 50 Abs. 1 InsO ein Absonderungsrecht an den Sachen des Mieters, die dieser im Rahmen des Mietverhältnisses in die Mieträume eingebracht hat, und ermöglicht so eine vorrangige Befriedigung der Vermieterforderungen gegenüber anderen Insolvenzgläubigern.
Der Vermieter muss das Absonderungsrecht jedoch aktiv gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend machen, da dieser nicht verpflichtet ist, den Vermieter zu befriedigen. Der Vermieter darf dann, sofern der Verwalter ihm die Sachen des Mieters überlässt (§ 170 Abs. 2 InsO), selbst verwerten als auch dem Verwalter die Verwertung überlassen, wobei er den Erlös in Höhe seiner offenen Forderungen einziehen darf (§ 170 Abs. I InsO).
Das Absonderungsrecht des Vermieters aus dem Vermieterpfandrecht ist auf Mietrückstände beschränkt, die in den letzten zwölf Monaten vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstehen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Vergangenheitsbetrachtung ist die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und die erstmalige Geltendmachung des Vermieterpfandrechts für künftige Mieten. Ältere Rückstände und Ersatzansprüche wegen einer Kündigung durch den Insolvenzverwalter sind nicht durch das Absonderungsrecht gesichert, sondern bloße Insolvenzforderungen (§ 50 Abs. 2 InsO).
IV. Vermieterinsolvenz
1. Fortbestand des Mietverhältnisses
Wie bereits zuvor dargestellt (Ziffer III.1.a.), bleibt auch im Fall der Insolvenz des Vermieters das Mietverhältnis grundsätzlich bestehen, sofern der Mietgegenstand bereits an den Mieter übergeben wurde. Miet- und Pachtverhältnisse über unbewegliche Gegenstände und Räume bestehen gemäß § 108 Abs. 1 InsO mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort.
Fallen Eigentümer und Vermieter auseinander, wie bei der Untervermietung oder bei einem Generalmieter, ist hinsichtlich der Ermächtigung des Vermieters zur Vermietung zu differenzieren. Hat der Eigentümer den Vermieter ermächtigt, wie ein Eigentümer zu vermieten (Generalmieter), so bezieht sich der Fortbestand des Mietvertrags auf die Mietsache selbst. Damit wird ein unmittelbares Zugriffsrecht begründet. Ist der insolvente Vermieter gegenüber dem Eigentümer nur zur Untervermietung berechtigt, bezieht sich der Schutz des § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO nur auf das schuldrechtliche Nutzungsrecht (Mietvertrag) der Insolvenzmasse gegenüber dem Eigentümer und endet mit diesem.
Etwas anderes gilt jedoch nach der Rechtsprechung des BGH (BGH, Urteil vom 11.12.2014 – IX ZR 87/14), wenn der Mietgegenstand im Zeitpunkt der Insolvenz noch nicht an den Mieter überlassen worden ist, da der Insolvenzverwalter ansonsten gezwungen sein könnte, unfertige Räume fertigzustellen, um Schadensersatzansprüchen als Masseverbindlichkeiten zu entgehen. In diesem Fall gilt ausnahmsweise § 103 InsO, sodass der Insolvenzverwalter zwar die Erfüllung des Mietvertrags wählen kann, aber nicht muss. Andernfalls würde nämlich das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO hinsichtlich der übrigen Verträge unterlaufen. Der Insolvenzverwalter wäre gegebenenfalls gezwungen, auch unrentable Objekte fertigzustellen und würde hierdurch die Insolvenzmasse schmälern.
Anders als im Falle der Mieterinsolvenz (vgl. Ziffer III.1.a. und III.1.b.) hat der Insolvenzverwalter im Falle der Vermieterinsolvenz zudem kein Rücktrittsrecht vor Überlassung (vgl. § 109 Abs. 2 Satz 1 InsO) bzw. ein Sonderkündigungsrecht nach Überlassung des Mietgegenstands (vgl. § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO). Der Verwalter des Vermieters ist damit an das Mietverhältnis gebunden und muss den Mietvertrag gegen Leistung der Miete erfüllen. Gleiches gilt in diesem Fall auch für den Mieter, der sich in Folge der Insolvenz des Vermieters nicht von dem Mietvertrag lösen kann. Dies gilt auch dann, wenn die Eröffnung des Mietvertrags mangels Masse abgelehnt wird.
Mit dem Mietverhältnis bestehen auch alle vertraglichen und gesetzlichen Pflichten des Vermieters weiter. Insbesondere hat der Vermieter die Erhaltung des Mietgegenstandes zu besorgen, soweit er diese nicht auf den Mieter übertragen hat. Der Herstellungsanspruch des Mieters gegen den Vermieter gemäß § 535 Abs. 1 Satz 2 BGB ist damit grundsätzlich eine Masseforderung nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO.
2. Vorausverfügungen über die Miete und Aufrechnung des Mieters
In der Insolvenz des Vermieters ist eine Vorausverfügung über künftige Mieten nach § 91 Abs. 1 InsO grundsätzlich unwirksam und daher nur in den Grenzen des § 110 InsO möglich. Die Vorausverfügung ist dann nur für den laufenden Kalendermonat wirksam, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Wird das Verfahren nach dem 15. des Monats eröffnet, wirkt die Vorausverfügung auch für den folgenden Monat. Zu den Verfügungen gehört auch die Abtretung oder die Pfändung der Miete durch einen Dritten.
Gegenüber dem Vermieter kann der Mieter gemäß § 110 Abs. 3 InsO nur in dem zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens laufenden Kalendermonat aufrechnen, wobei die Aufrechnungsbeschränkungen im Insolvenzverfahren zu beachten sind.
3. Sonderkündigungsrecht im Fall der Veräußerung
Für den Fall, dass der Verwalter den im Alleineigentum des insolventen Vermieters stehenden Mietgegenstand veräußert und das Mietverhältnis gemäß § 566 BGB auf den Erwerber übergeht, steht diesem gemäß § 111 InsO ein Sonderkündigungsrecht zu, mit dem er das Mietverhältnis trotz einer festen Laufzeit oder dem Ausschluss der ordentlichen Kündigung beenden kann. Das Kündigungsrecht kann nur einmalig und zum frühestmöglichen Zeitpunkt nach Eigentumsumschreibung mit gesetzlicher Frist durch den Erwerber ausgeübt werden.
Aus Sicht des Erwerbers und des Mieters ist bei der Beendigung des Mietverhältnisses nach dem Erwerb aus der Insolvenzmasse zu beachten, dass der Kautionsrückzahlungsanspruch des Mieters nach der Rechtsprechung des BGH (BGH, Urt. v. 07.03.2012 − XII ZR 13/10) gemäß §§ 566a, 578 BGB gegenüber dem Erwerber geltend gemacht werden kann, auch wenn der nunmehr insolvente Vermieter die Kaution nicht getrennt von seinem Vermögen angelegt hat. Dies stellt eine Privilegierung des Mieters als Folge des Sonderkündigungsrechts des Erwerbers dar. Denn ohne die Abtretung wäre der Rückzahlungsanspruch nur eine einfache Insolvenzforderung.
V. Praxishinweise
In der Praxis ist es nicht immer einfach, sich gegen die Insolvenz des Vertragspartners abzusichern. Dies liegt zum einen daran, dass die Thematisierung einer möglichen Insolvenz bereits in der Anbahnungsphase eines gewerblichen Mietvertrages und damit in der Regel einer langjährigen Geschäftsbeziehung ungewollte Widerstände bei den Vertragsparteien auslösen und die noch in den Kinderschuhen steckende Geschäftsbeziehung atmosphärisch belasten kann. Zum anderen erschwert das Gesetz insbesondere aus Vermietersicht die effektive Abwehr der Folgen einer Insolvenz und die Durchsetzung eigener Vermieterrechte.
Umso wichtiger ist es, bereits bei Abschluss des Mietvertrages für schlechte Zeiten vorzusorgen. Dabei sollten folgende Überlegungen in die Vertragsverhandlungen und die anschließende Vertragsgestaltung einfließen.
1. Prüfung der Kreditwürdigkeit des Vertragspartners
Vor Abschluss eines Mietvertrages sollten bei Zweifeln an der Bonität des Vertragspartners entsprechende Auskünfte eingeholt werden. In der Praxis eignen sich hierfür insbesondere Dienstleister wie die Schufa-Auskunft oder Creditreform. Bei Neugründung des Vertragspartners oder erstmaligem Markteintritt ist eine Bankauskunft über die Liquidität des Vertragspartners einzuholen.
2. Mietsicherheiten
Wegen der Unwägbarkeiten, die mit der Insolvenz des anderen Vertragspartners verbunden sind, sollten sich die Vertragsparteien gegenseitig bereits zu Beginn des Mietverhältnisses Sicherheiten einräumen lassen.
a. Sicherung des Vermieters
Aus Vermietersicht kommt hier insbesondere die Stellung einer Mietsicherheit durch den Mieter oder Dritte in Betracht, aus der sich der Vermieter im günstigsten Fall bereits während des laufenden Mietverhältnisses befriedigen kann. Neben der klassischen Mietkaution kommen Sicherungsmittel wie eine Bankbürgschaft oder ein Patronat der Muttergesellschaft des Mieters in der Praxis am häufigsten zum Einsatz.
Die rechtssichere Ausgestaltung einer Mietsicherheit und die Möglichkeit der Befriedigung des Vermieters bereits während der Laufzeit des Mietvertrages stehen dem grundsätzlichen Sicherungscharakter der Mietsicherheit, der eine Befriedigung vor Beendigung des Mietverhältnisses grundsätzlich ausschließt, entgegen und bedürfen in der Praxis regelmäßig der anwaltlichen Beratung.
b. Sicherung des Mieters
Der Mieter, der nicht unerhebliche Investitionen in den Mietgegenstand und damit in das Mietverhältnis tätigt, sollte ebenso wie der Vermieter seinem Sicherungsbedürfnis nachkommen. Wie oben dargestellt, kann sich der Erwerber, der den Mietgegenstand aus der Insolvenzmasse des Vermieters erwirbt, durch Ausübung des Sonderkündigungsrechts nach § 111 InsO eines unliebsamen Mietverhältnisses entledigen.
Schutz vor dieser vorzeitigen Beendigung und dem damit verbundenen Verlust der Aufwendungen des Mieters bietet eine im Grundbuch des Mietgegenstandes einzutragende Mieterdienstbarkeit (§§ 1090 ff. BGB), die dem Mieter das dingliche Recht einräumt, den Mietgegenstand ab dem Zeitpunkt der Beendigung des Mietverhältnisses infolge der Ausübung des Sonderkündigungsrechts durch den Erwerber in der Regel entsprechend den Vereinbarungen des Mietvertrages zu nutzen.
Der Erwerber bzw. Ersteher steht in diesem Fall allerdings nicht mit leeren Händen da. Er hat Anspruch auf die volle Miete bzw. das volle Nutzungsentgelt. Letzteres tritt – soweit zwischen Mieter und Vermieter zuvor vereinbart – an die Stelle der Miete für den Fall des Wegfalls der mietvertraglichen Regelungen. Aus der Weiternutzung der Flächen durch den Mieter folgt dann kein materieller Nachteil für den Erwerber.
Da eine solche Verdinglichung des Mietverhältnisses jedoch im Verlauf des Mietverhältnisses zu erheblichen Schwierigkeiten des Vermieters bei der Veräußerung oder Refinanzierung führen kann, dürften Vermieter mit der Einräumung solcher dinglicher Rechte in der Regel mehr als zurückhaltend sein. Ist die Mieterdienstbarkeit bereits an erster Rangstelle im Grundbuch eingetragen, wird die Realisierung einer (weiteren) Finanzierung für den Eigentümer schwierig. Eine solche Mieterdienstbarkeit stellt eine finanzierende Bank regelmäßig vor einige Probleme. Mögliche negative Auswirkungen zeigen sich beispielsweise bei einer Zwangsversteigerung des Grundstücks. Die Eintragung der Mieterdienstbarkeit an erster Rangstelle kann die Verkehrsfähigkeit des Grundstücks erheblich einschränken. Dies ist gleichbedeutend mit dem Risiko eines geringeren Versteigerungserlöses, das regelmäßig weder der Eigentümer noch die Bank eingehen wollen. Die Nachrangigkeit der Mieterdienstbarkeit gegenüber einem Grundpfandrecht wiederum ist für den Mieter nur auf den ersten Blick nachteilig. Wird der Zuschlag in der Zwangsversteigerung erteilt, erlischt die Mieterdienstbarkeit. Dennoch ist der Mieter dann nicht rechtlos: Aus dem Erlösanteil nach Befriedigung der vorrangigen Grundschuld ist ihm der Wert seines Rechts in Form einer Geldrente zu ersetzen. Das Zwangsversteigerungsgesetz begrenzt diesen Wertersatz auf höchstens das 25-fache des Jahreswertes des Rechts. Zu seiner Ermittlung werden im Einzelfall verschiedene Berechnungsmethoden herangezogen. Neben der Restlaufzeit des Mietvertrages kann auch der Reingewinn des Mieters ein wertbildender Faktor sein.
Nur bei entsprechender Verhandlungsmacht dürfte sich der Mieter mit diesem Verhandlungspunkt durchsetzen können. Aus Vermietersicht ist dabei stets darauf zu achten, dass nur Mieterdienstbarkeit auf Basis des Musters der deutschen Pfandbriefbanken (VdP-Standard) vereinbart werden sollten, da dies den anerkannten Standard der Banken darstellt.
3. Insolvenzabhängige Lösungsklauseln
Der vertragliche Ausschluss der Insolvenzwirkungen auf das Mietverhältnis ist jedenfalls schwierig, wenn nicht sogar vollständig unmöglich. Vereinbarungen der Mietvertragsparteien, durch die im Voraus die Anwendung der §§ 108 bis 112 InsO ausgeschlossen oder beschränkt werden, sind gemäß § 119 InsO unwirksam. Durch Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urt. v. 27.10.2022 – IX ZR 213/21) ist anerkannt, dass vertragliche Vereinbarungen eines Kündigungsrechts für den Fall der Insolvenzeröffnung, welches entgegen der Wirkung des § 108 InsO einer Partei ein Lösungsrecht zuspricht, unwirksam sind. Ebenso ist nach dieser Rechtsprechung die Vereinbarung eines Kündigungsrechts für den Fall der Zahlungseinstellung wegen der damit verbundenen Abweichung von § 112 InsO unwirksam.
Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Kündigung aus wichtigem Grund wegen des Insolvenzverfahrens möglich bleibt, ist bislang höchstrichterlich nicht geklärt. § 119 InsO enthält vor dem Hintergrund der allgemeinen Vertragsfreiheit keine Aussage zu einer nur mittelbaren Beeinflussung der §§ 103-118 InsO. Die Unwirksamkeit einer entsprechenden Regelung bedarf daher zumindest der Begründung. Da der BGH jedoch davon ausgeht, dass Lösungsklauseln, die die gesetzgeberischen Wertungen der §§ 108 bis 112 InsO unterlaufen, unwirksam sind, wenn kein rechtfertigender Grund für die Loslösung der Partei vom Vertrag vorliegt, dürfte hier in der praktischen Umsetzung äußerste Vorsicht geboten sein.
Jedenfalls dürfte aber ein vertragliches Kündigungsrecht für den Fall der Abweisung des Insolvenzantrags wirksam sein, da in diesem Fall die §§ 108 bis 112 InsO keine Anwendung finden.
Umgekehrt scheint eine formularvertragliche Regelung für den Fall, dass der Verwalter eines unter mehreren Mietern das Mietverhältnis kündigt, möglich, da insoweit die Entscheidungsfreiheit des Verwalters zum Schutz der Masse nicht eingeschränkt wird. Die Mietvertragsparteien sollten also bei entsprechendem Interesse aller Vertragsparteien am Fortbestand des Mietverhältnisses auch ohne den insolventen Schuldner eine entsprechende mietvertragliche Regelung vorsehen, wonach das Mietverhältnis im Falle einer Kündigung nach § 109 Abs. 1 InsO mit den übrigen Mietern fortgesetzt werden soll. Fehlt eine solche Klausel, bleibt ihnen hingegen nur die Möglichkeit, den Mietvertrag neu abzuschließen.
4. Geltendmachung des Vermieterpfandrechts
Sobald der Vermieter von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Kenntnis erlangt, sollte er sein Vermieterpfandrecht gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend machen. Dies gilt umso mehr, als das Vermieterpfandrecht innerhalb eines Monats erlischt, nachdem der Vermieter von der Entfernung der Sachen des Mieters aus dem Mietgegenstand Kenntnis erlangt hat, sofern er seinen Herausgabeanspruch nicht zuvor gerichtlich geltend gemacht hat.
5. Kündigung des Mietvertrags bei Mietzahlungsverzugs nach Antragstellung
Die Kündigung sollte in diesem Fall nur ausgesprochen werden, wenn der Mietgegenstand alsbald nach Beendigung des Mietverhältnisses weitervermietet werden kann, da die infolge der vom Verwalter veranlassten Kündigung geschuldete Nutzungsentschädigung je nach Verfügungsbefugnis des Verwalters ggf. nur eine Insolvenzforderung darstellen kann.
Andernfalls sollte ggf. in den direkten Austausch mit dem Insolvenzverwalter eingetreten werden, um die Mietzahlung sicherzustellen. Dies dürfte insbesondere gelingen, wenn die Geschäftsräume für die Fortführung des Geschäftsbetriebes benötigt werden. Soweit der Geschäftsbetrieb jedoch nicht fortgeführt wird, ist eine Kündigung wohl stets ratsam, da u.a. auch die Masseunzulänglichkeit angezeigt werden kann, so dass trotz der Einordnung der Mietforderungen als Masseverbindlichkeit keine Zahlung erfolgen kann.
VI. Fazit
Die Insolvenz einer Vertragspartei kann das Mietverhältnis trotz grundsätzlicher Insolvenzfestigkeit nach Überlassung des Mietgegenstandes an den Mieter erheblich beeinträchtigen. Die Insolvenzordnung enthält mit den §§ 108 ff. InsO einschneidende Regelungen zum Schicksal von Miet- und Pachtverhältnissen im Insolvenzverfahren, die zum Teil erhebliche Abweichungen vom zivilrechtlichen Mietrecht und zum Teil besondere Privilegierungen zugunsten der Insolvenzmasse darstellen. Dies hat insbesondere der Vermieter in der Insolvenz seines Mieters zu beachten, da etwaige Vereinbarungen, die die Anwendung der einschlägigen Normen ausschließen oder auch nur einschränken, bereits nach § 119 InsO ipso iure unwirksam sind. Die Parteien sind daher gut beraten, sich bereits bei Abschluss des Mietvertrages mit dieser Möglichkeit auseinanderzusetzen und sich nicht zuletzt wegen der dargestellten Schwierigkeiten bei der rechtssicheren Wahrung der eigenen Interessen anwaltlich beraten zu lassen.
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I. Einleitung Für Unternehmen, die im europäischen Binnenmarkt in Bezug auf den Warenhandel grenzüberschreitend tätig sind, sind aus umsatzsteuerlicher Sicht sog. „Innergemeinschaftliche Lieferungen“, „Reihengeschäfte“ oder auch das „Innergemeinschaftliche Dreiecksgeschäft“ zentrale Themen in deren Alltagsgeschäft. Die korrekte umsatzsteuerliche Handhabung stellt die Unternehmen aber regelmäßig vor erhebliche praktische Herausforderungen. Innergemeinschaftliche Lieferungen sind nach § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG in Verbindung mit § 6a UStG unter bestimmten Voraussetzungen steuerfrei, erfordern hierfür jedoch eine präzise Einhaltung der materiell-rechtlichen und formellen Anforderungen, unter anderem im Hinblick auf die Verwendung einer gültigen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer und die korrekte Abgabe der Zusammenfassenden Meldung. Fehler in der Abwicklung, wie unvollständige Nachweise oder fehlerhafte Meldungen, werden häufig erst im Rahmen von Betriebsprüfungen entdeckt und können zu erheblichen Steuernachzahlungen führen. Die Komplexität steigt weiter, wenn innergemeinschaftliche Lieferungen im Rahmen von Reihengeschäften erfolgen. Bei einem Reihengeschäft liegen mehrere Lieferungen zwischen verschiedenen Unternehmern vor, wobei die tatsächliche Warenbewegung direkt vom ersten Lieferer zum letzten Abnehmer erfolgt. Hierbei kommt es auf die umsatzsteuerliche Ortsbestimmung der einzelnen Lieferungen an. Die korrekte Zuordnung der sog. bewegten Lieferung ist letztlich entscheidend für die Steuerbefreiung. Dieser Beitrag befasst sich im Speziellen mit einer Sonderform des (grenzüberschreitenden) Reihengeschäfts, dem sog. Innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäft. II. Funktionsweise und Zweck des Innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäfts 1. Funktionsweise Beim innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäft handelt es sich um eine besondere Form des Reihengeschäfts. Folgende Voraussetzungen müssen vorliegen, damit ein innergemeinschaftliches Dreiecksgeschäft im Sinne von § 25b Abs. 1 UStG gegeben ist: Es muss eine mindestens dreigliedrige Umsatzkette mit Unternehmern, bestehend aus dem ersten Lieferer A, dem Zwischenhändler B und dem Abnehmer C, vorliegen und die Ware direkt vom Lieferer A zum Abnehmer C gelangen. Die Warenbewegung muss dabei zwischen zwei verschiedenen Mitgliedstaaten stattfinden und die Verantwortung für den Transport entweder beim ersten Lieferer A oder beim Zwischenhändler B liegen. Bei der Abwicklung müssen die beteiligten Unternehmer Umsatzsteuer-Identifikationsnummern aus verschiedenen Mitgliedstaaten verwenden. Liegt ein Dreiecksgeschäft in diesem Sinne vor, gibt es weitere Bedingungen, unter denen der Zwischenhändler B die nach der Gegenleistung zu bemessende Umsatzsteuer für den Umsatz mit Lieferort im Bestimmungsland auf den Abnehmer C übertragen kann. Bevor der Zwischenhändler B die Lieferung tätigt, muss er den Liefergegenstand vom ersten Lieferer A im Rahmen eines innergemeinschaftlichen Erwerbs erhalten haben. Für den Zwischenhändler B greift die Erleichterung durch die Übertragung der Steuerschuld auf den Abnehmer C aber nur dann, wenn der Zwischenhändler B im Bestimmungsland weder ansässig ist, noch eine von dort vergebene Umsatzsteuer-Identifikationsnummer verwendet. Die Verwendung einer vom Bestimmungsland vergebenen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer ist für die Anwendung der Steuerschuldumkehr hingegen dem Abnehmer C vorbehalten und zwingende Voraussetzung. 2. Zweck Letztlich bringt die Regelung zum innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäft hauptsächlich Erleichterungen für den Zwischenhändler B in einem innergemeinschaftlichen Reihengeschäft, vor allem im Hinblick auf die Registrierungspflichten im Bestimmungsland der gehandelten Ware. Denn als Abnehmer für den Umsatz des ersten Lieferers A verwirklicht er beim Dreiecksgeschäft zum einen im Bestimmungsland den Tatbestand des innergemeinschaftlichen Erwerbs, zum anderen verschafft er bei seinem Folgeumsatz dem Abnehmer C die Verfügungsmacht erst im Bestimmungsland und löst dort wiederum einen umsatzsteuerbaren Vorgang aus. Beide Tatbestände würden ohne die Vereinfachungsregelung des § 25b UStG die steuerliche Registrierung des Zwischenhändlers B im Bestimmungsland erfordern. Durch die in § 25b Abs. 2 UStG geregelte Rechtsfolge kann der Zwischenhändler B jedoch die Umsatzsteuerschuld aus dem Umsatz an den Abnehmer C im Bestimmungsland auf diesen übertragen. Diesbezüglich entfällt eine Registrierungspflicht. Gleichzeitig ist mit dem Übergang der Steuerschuld auf den Abnehmer C die Rechtsfolge verbunden, dass in diesem Fall der innergemeinschaftliche Erwerb des Zwischenhändlers B zudem als besteuert fingiert wird. III. Praktische Hinweise und aktuelle Rechtsprechung 1. Beispiel Anhand eines einfachen Beispiels sollen nochmal die Funktionsweise und Vereinfachungen des innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäfts verdeutlicht werden: Abnehmer C aus Polen bestellt beim Zwischenhändler B in Deutschland eine Maschine. B bestellt selbst beim Lieferer A aus Frankreich. A befördert die Maschine mit eigenem Lkw direkt aus Frankreich nach Polen und übergibt sie dort C. Alle drei Unternehmer verwenden jeweils ihre nationale Umsatzsteuer-Identifikationsnummer. Es liegt ein innergemeinschaftliches Dreiecksgeschäft vor. Der Ort der ersten Lieferung des A, dem als warenbewegter Lieferung die Beförderung zugerechnet wird, befindet sich im Ursprungsland Frankreich und ist nach französischem Recht zu beurteilen (evtl. steuerfrei, A hat ggf. in Frankreich eine Zusammenfassende Meldung abzugeben). Zwischenhändler B muss einen innergemeinschaftlichen Erwerb in Polen versteuern (und hat dort in gleicher Höhe ggf. den Vorsteuerabzug). Der Lieferort der nachfolgenden Lieferung des B an C befindet sich in Polen, sodass diese Lieferung der polnischen Umsatzsteuer unterliegt. Der deutsche Zwischenhändler B müsste sich eigentlich in Polen umsatzsteuerlich registrieren lassen. Durch die Vereinfachungsregelung für innergemeinschaftliche Dreiecksgeschäfte wird die Registrierung in Polen für B vermieden. Denn der im Bestimmungsland Polen ansässige letzte Abnehmer C übernimmt für den deutschen Zwischenhändler B die aus dessen Lieferung resultierende polnische Steuerschuld und C kann die nach § 25b UStG geschuldete Umsatzsteuer selbst als Vorsteuer abziehen, soweit er vorsteuerabzugsberechtigt ist. Der vom Zwischenhändler B in Polen getätigte innergemeinschaftliche Erwerb gilt als besteuert, also als erledigt. Der deutsche Zwischenhändler B wird letztlich von den Erklärungspflichten im Bestimmungsland Polen befreit. Jedoch muss B in seinem Ansässigkeitsstaat Deutschland seine Lieferung an C gegenüber den deutschen Finanzbehörden wie folgt erklären: In der USt-Voranmeldung bzw. -Jahreserklärung (ohne Umsatzsteuerschuld gem. § 25b UStG) sowie In der Zusammenfassenden Meldung mit Angabe der polnischen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Abnehmers C (dies soll der Kontrolle dienen, ob der Abnehmer C in Polen seinen umsatzsteuerlichen Pflichten nachkommt). Die Vereinfachungsregelung erfordert materiell-rechtlich zwingend, dass der mittlere Unternehmer in seiner Rechnung an den letzten Abnehmer des Dreiecksgeschäfts die Umsatzsteuer nicht gesondert ausweist, auf das innergemeinschaftliche Dreiecksgeschäft hinweist (z. B. "Innergemeinschaftliches Dreiecksgeschäft nach § 25b UStG" oder "Vereinfachungsregelung nach Art. 141 MwStSystRL") den letzten Abnehmer auf die auf ihn überwälzte Steuerschuldnerschaft hinweist, seine eigene Umsatzsteuer-Identifikationsnummer und die des letzten Abnehmers im Dreiecksgeschäft angibt. 2. Praxishinweise Ein innergemeinschaftliches Dreiecksgeschäft erfordert also zwingend, dass in der Rechnung des Zwischenhändlers auf die Steuerschuldnerschaft des Erwerbers bzw. Abnehmers hingewiesen wird. Diesbezügliche Abrechnungsfehler sind nicht rückwirkend heilbar. So haben EuGH (EuGH in der Rs. „Luxury Trust Automobil“; Urteil v. 8.12.2022 - C-247/21) und BFH (vgl. BFH, Urt. v. 17.7.24, XI R 35/22) aktuell entschieden. Der in § 14a Abs. 7 UStG geforderte Hinweis auf das Dreiecksgeschäft in der Rechnung des mittleren Unternehmers an seinen Abnehmer ist nach Auffassung des BFH in allen Fällen eine materiell-rechtliche Voraussetzung für die Anwendung des Dreiecksgeschäfts. Fehlen die entsprechenden Hinweise in der Rechnung, können die Vereinfachungsfolgen des innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäfts nicht eintreten. Da sich Unternehmen häufig gar nicht bewusst sind, dass sie an einem innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäft beteiligt sind, sollten insbesondere die Buchhaltungsabteilungen darauf sensibilisiert werden, diese zu erkennen. Andererseits sind die Regelungen zum innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäft jedoch „nur“ ein Wahlrecht für den mittleren Unternehmer, so dass die Rechtsfolgen nur dann eintreten, wenn der mittlere Unternehmer die Anwendung auch klar und eindeutig beantragt. Sofern Unternehmen die Vereinfachungsregelung bewusst in Anspruch nehmen möchten, sollten sie auf die korrekte Umsetzung der strengen formalen Vorgaben achten, damit die Vereinfachungen auch wirklich eintreten. Dies erfolgt regelmäßig durch die Ausstellung von korrekten Rechnungen sowie der Deklaration in der lokalen Umsatzsteuer-Voranmeldung und in der Zusammenfassenden Meldung. Wird ein Dreiecksgeschäft falsch „umgesetzt“, kann dies für den mittleren Unternehmer zu erheblichem Mehraufwand und Kosten führen. Er muss sich ggf. nachträglich im Bestimmungsmitgliedstaat umsatzsteuerlich erfassen und dort innergemeinschaftliche Erwerbe sowie lokale Lieferungen erklären. Dies kann bei nachträglichem Erkennen zusätzlich zu Nachzahlungen oder gar Strafen führen. Bei der korrekten umsatzsteuerlichen Behandlung von Reihengeschäften im Allgemeinen oder der richtigen umsatzsteuerlichen Handhabung von innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäften im Besonderen unterstützen wir Sie gerne. Setzen Sie sich bei Fragen mit Ihrem Pelka-Berater oder Herrn Di Wu in Verbindung oder füllen unser Kontaktformular aus.

Bereits in der Vergangenheit haben wir in unseren Beiträgen die steuerlichen und rechtlichen Aspekte rund um Influencer und Content-Creator beleuchtet. Nachdem die Finanzverwaltung einige Jahre den Schwerpunkt augenscheinlich nicht auf diese Steuerpflichtigen legte, ist aktuell eine deutliche Verschärfung seitens der Finanzämter zu beobachten: Von der Einrichtung von Sonder-Influencer-Teams bei den entsprechenden Behörden bis zur Zusammenarbeit mit den einschlägigen Online-Plattformen und der Initiierung neuer Ermittlungsmethoden: die Behörden gehen derzeit mit Nachdruck gegen Steuerhinterziehung im Bereich der Influencer und Content-Creator vor. So werden bereits jetzt Strafverfahren gegen in dieser Branche aktive Personen geführt. Gegenstand der Verfahren sind dabei im Durchschnitt steuerliche Fehlbeträge im hohen fünfstelligen Bereich, in Einzelfällen sogar in Millionenhöhe. I. Die steuerlichen Fallstricke im Überblick Die Wege, als Influencer und Content-Creator Einnahmen zu generieren, sind vielfältig, eine Einordnung daher oftmals unübersichtlich: Vergütungen für Klicks, Einnahmen aus Affiliate-Links oder Werbekooperationen, Abo-Zahlungen, „Trinkgelder“ für persönliche Fotos, Produktplatzierungen, Einnahmen aus der Teilnahme an TV-Formaten oder Preisgelder aus Gaming-Turnieren – und neue Konzepte keimen ständig auf, die laufend einer steuerlichen Einordnung bedürfen. Nicht alle Kreativen sind sich möglicherweise den steuerlichen Pflichten bewusst, die mit ihrer Tätigkeit verbunden sind. Dies führt teilweise zu immensen – teilweise sogar strafrechtlichen – Konsequenzen. Ob einkommen-, gewerbe-, umsatz- oder sogar schenkungsteuerlich – die steuerlichen Fallstricke sind vielschichtig. Mittlerweile dürfte allseits bekannt sein, dass in aller Regel auf die erzielten Einnahmen Einkommen- und Gewerbesteuer zu entrichten ist. Wer in Deutschland seinen Wohnsitz hat oder sich hier gewöhnlich aufhält, ist mit seinen gesamten Einkünften steuerpflichtig. Doch was einkommensteuerpflichtige Einkünfte sind, bedarf oftmals einer Prüfung im Einzelfall. In der Regel wird durch die Tätigkeit als Influencer oder Content-Creator zudem ein Gewerbebetrieb im Sinne des Gewerbesteuergesetzes begründet. Daraus resultiert sowohl eine Gewerbesteuerpflicht als auch weitere Verpflichtungen wie die Anmeldung bei dem zuständigen Gewerbeamt. Auch umsatzsteuerliche Pflichten sind nicht außer Acht zu lassen. Dabei kann bereits die Nichtangabe von Einkünften oder Umsätzen den Vorwurf der Steuerhinterziehung begründen. Zuletzt gingen zudem immer wieder Schlagzeilen durch die Presse, dass auch Geldgeschenke in Höhe von mehreren zehntausenden oder sogar hunderttausenden Euros keine Seltenheit darstellen. Auch derartige freiwillige Leistungen von Fans oder Kunden ohne entsprechende Gegenleistungen sind nicht steuerfrei, sondern als Schenkungen, sofern sie die Freibetragsgrenze überschreiten, zu versteuern und auch als solche gegenüber den Finanzbehörden anzuzeigen. II. Wegzug ins Ausland Immer mehr Influencer und Content-Creator wollen aufgrund der steuerlichen Belastung Deutschland den Rücken kehren. Doch auch ein Wegzug ins Ausland entbindet nicht automatisch von steuerlichen Pflichten in Deutschland und sollte vorher gut durchdacht und geplant werden. Zum einen ist auch derjenige, der zwar keinen Wohnsitz (mehr) in Deutschland hat, aber hier Einkünfte erzielt, beschränkt auf diese Einkünfte weiterhin in Deutschland steuerpflichtig. Zum anderen greift die deutsche erweiterte beschränkte Steuerpflicht, wenn zwar der Wohnsitz bzw. der gewöhnliche Aufenthalt ins Ausland verlagert wird, aber wesentliche wirtschaftliche Interessen in Deutschland behalten werden. Um eine Doppelbesteuerung zu vermeiden, werden zwar vielfach internationale Abkommen herangezogen, doch gerade bei Zielstaaten mit niedriger oder überhaupt keiner Besteuerung bestehen hier oft Lücken. Eine frühzeitige steuerliche Planung ist daher unerlässlich. Daneben droht durch den Wegzug aus Deutschland zudem eine zwar einmalige, aber hohe Steuerbelastung durch eine sog. Entstrickung von Wirtschaftsgütern. Besonders relevant sind dabei die sog. selbst geschaffenen immateriellen Wirtschaftsgüter. Darunter können u.a. bestehende Kundenbeziehungen, Social-Media Accounts mit entsprechender Reichweite oder auch Private-Label-Produkte fallen. Durch die Entstrickung wird der in Deutschland entstandene Wertzuwachs dieser Vermögenswerte aufgedeckt und in Deutschland steuerpflichtig. III. Was tun bei Zweifeln, vermutetem Verstoß gegen steuerliche Pflichten oder geplantem Umzug? Sollten Sie befürchten, dass Steuererklärungen unvollständig waren oder Steuern nicht korrekt abgeführt wurden, ist ein schnelles, aber auch wohl überlegtes Handeln entscheidend. Die Möglichkeit einer Selbstanzeige bietet hier einen Weg, bestehende Steuerverstöße strafbefreiend zu bereinigen – vorausgesetzt, sie wird ordnungsgemäß und vollständig durchgeführt. Dabei ist jedoch Vorsicht geboten: Eine fehlerhafte oder unvollständige Selbstanzeige kann die Vorteile zunichte und stattdessen das Finanzamt auf den Verstoß aufmerksam machen. Dies kann erhebliche, insbesondere auch strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Ähnlich verhält es sich bei einem geplanten Umzug ins Ausland. Ein solcher erfordert eine gründliche Planung und möglicherweise Anpassung der Geschäftsstrukturen. Eine vorgelagerte Steuerplanung, vor allem im Hinblick auf immaterielle Werte, ist dabei unumgänglich, um potenzielle Steuerfallen zu vermeiden. Es empfiehlt sich daher, frühzeitig eine steuerliche Beratung in Anspruch zu nehmen, um einen reibungslosen Übergang zu gewährleisten. IV. Fazit Die steuerlichen Fallstricke für Influencer und Content-Creator sind vielschichtig. Behördliche Kontrollen der steuerrelevanten Verhältnisse nehmen zudem zu. Eine vorausschauende und fundierte steuerliche Beratung ist unerlässlich, um Fallstricke zu vermeiden und auf der sicheren Seite zu bleiben. Haben Sie Zweifel oder vermuten Sie sogar bereits steuerliche Probleme, so sollten Sie nicht zögern und frühzeitig professionelle Unterstützung in Anspruch nehmen. Gerne stehen wir Ihnen mit zur Seite – sowohl bei der präventiven Planung als auch bei der Begleitung von Selbstanzeigen oder sonstigen steuerlichen Fragestellungen rund um Ihre Tätigkeit. Füllen Sie gerne unser Kontaktformular aus. Autoren: Dr. Eric Hoeveler und Melissa Maas

Ein nach dem 20. Juli 2025 verbleibender Hinweis auf die Streitbeilegungsplattform der Europäischen Union (EU) im Impressum einer Website ist irreführend und kann Anlass für Abmahnungen sein. I. Aktueller Handlungsbedarf: Hinweis entfernen Viele Unternehmen verweisen auf ihrer Website auf die EU-Streitbeilegungsplattform. Dieser Hinweis befindet sich zumeist im Impressum einer Homepage oder in E-Mail-Signaturen. Die Plattform wurde jedoch zum 20. Juli 2025 endgültig abgeschaltet. Ein entsprechender Hinweis ist damit nicht nur überholt, sondern kann auch rechtliche Risiken nach sich ziehen. II. Hintergrund zur EU-Streitbeilegungsplattform Die Europäische Plattform für Online-Streitbeilegung sollte Verbraucher und Unternehmen bei der außergerichtlichen Beilegung von Streitigkeiten unterstützen. Unternehmen mit Sitz in der EU waren bisher verpflichtet, den Link zur Plattform auf ihrer Website zu platzieren – dies erfolgte in der Regel im Impressum. Als Folge der Nichtbeachtung dieser Pflicht konnten Abmahnungen durch Mitbewerber oder Verbraucherverbände ausgesprochen werden. Mit Aufhebung der Verordnung über Online-Streitbeilegung wurde auch die EU-Plattform abgeschaltet, sodass die entsprechende Hinweispflicht für Unternehmen entfällt. III. Rechtliche Risiken durch veraltete Angaben Trotz ihrer Abschaltung zum 20. Juli 2025 finden sich auf vielen Websites noch Hinweise und Links zur EU-Streitbeilegungsplattform. Diese Informationen sind nicht nur überflüssig, sondern können als irreführende geschäftliche Handlung gewertet und infolgedessen mit Abmahnungen geahndet werden. IV. Empfohlene Maßnahmen Ein noch vorhandener Hinweis auf die EU-Streitbeilegungsplattform sollte daher umgehend aus dem Impressum der Website eines Unternehmens entfernt werden. Auch andere Stellen, etwa E-Mail-Signaturen oder vorgefertigte Textbausteine, sind auf entsprechende Verweise zu prüfen. Wichtig: Der allgemeine Hinweis auf die Teilnahme oder Nichtteilnahme an einem Streitbeilegungsverfahren vor einer Verbraucherschlichtungsstelle bleibt weiterhin erforderlich. V. Fazit Die EU-Streitbeilegungsplattform wurde abgeschafft, sodass die Hinweispflicht entfällt. Ein verbliebener Hinweis auf der Website kann zu Abmahnungen führen und sollte daher schnellstmöglich entfernt werden. Eine zeitnahe Überarbeitung des Impressums und weiterer betroffener Stellen schützt vor rechtlichen Konsequenzen. Bei Fragen hierzu können Sie gerne unser Kontaktformular ausfüllen oder sich an Frau Elena Beeretz wenden. Wir unterstützen Sie gerne.

I. Einleitung Seit dem 1. Januar 2025 gelten für die Anwendung der Kleinunternehmerregelung nach § 19 UStG neue Grenzen, die einer laufenden Überwachung bedürfen. Mussten Kleinunternehmer bisher bei Überschreiten der Umsatzgrenzen im laufenden Kalenderjahr erst ab dem folgenden Kalenderjahr Umsatzsteuer in ihren Rechnungen ausweisen, muss nun bereits mit dem Umsatz, der die Grenzen überschreitet, unterjährig Umsatzsteuer in Rechnung gestellt werden. Außerdem sind ab Überschreiten der Kleinunternehmergrenzen regelmäßige Voranmeldungen an das Finanzamt zu übermitteln. II. Die Einzelheiten im Überblick 1. Grundsätze zur Kleinunternehmerregelung Unternehmer, die im vorangegangenen Kalenderjahr die Umsätze im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG bis zum Betrag von € 25.000 (bisher: € 22.000) erzielen und im laufenden Kalenderjahr die Umsatzgrenze von € 100.000 (bisher: € 50.000) nicht überschreiten, sind Kleinunternehmer. Ihre Umsätze sind von der Umsatzsteuer befreit. Sie dürfen aber im Gegenzug auch keinen Vorsteuerabzug aus Eingangsrechnungen in Anspruch nehmen. 2. Steuerfreiheit der Umsätze Die Umsätze im Rahmen der neuen Kleinunternehmerregelung ab 2025 gelten als steuerfrei und nicht mehr lediglich als „nicht erhoben“ im Sinne der bisherigen Rechtslage. Diese rechtliche Einordnung hat bedeutsame umsatzsteuerliche Konsequenzen. Ein auf der Rechnung gesondert ausgewiesener Umsatzsteuerbetrag stellt nunmehr einen unrichtigen Steuerausweis im Sinne des § 14c Abs. 1 UStG dar und nicht mehr, wie bisher, einen unberechtigten Steuerausweis gemäß § 14c Abs. 2 UStG. Dies bedeutet, dass der Unternehmer die falsch ausgewiesene Umsatzsteuer gegenüber dem Finanzamt schuldet. Darüber hinaus entfällt der Vorsteuerabzug – wie auch in der bisherigen Regelung – für Eingangsleistungen, die der Unternehmer zur Ausführung dieser steuerfreien Umsätze verwendet. Dies ergibt sich aus § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG, wonach der Vorsteuerabzug bei Lieferungen und sonstige Leistungen, die für steuerfreie Umsätze verwendet werden, grundsätzlich ausgeschlossen ist. 3. Vereinfachte Rechnungsstellung ab dem 1. Januar 2025 Ab dem 1. Januar 2025 gelten neue Regelungen bezüglich der Rechnungsstellung für Kleinunternehmer. Diese können nun gemäß § 34a UStDV sogenannte vereinfachte Rechnungen ausstellen. In diesen Rechnungen dürfen bestimmte Pflichtangaben (wie zum Beispiel die Rechnungsnummer oder das Leistungsdatum) entfallen. Darüber hinaus sind Kleinunternehmer nicht verpflichtet, elektronische Rechnungen im Sinne der neuen E-Rechnungspflicht auszustellen. Unabhängig von der gewählten Form der Rechnung ist jedoch zwingend ein Hinweis auf die Anwendung der Kleinunternehmerregelung gem. § 19 UStG erforderlich. 4. Auswirkungen bei Überschreiten der Umsatzgrenzen ab dem 1. Januar 2025 Wird die Umsatzgrenze von € 100.000 im laufenden Jahr überschritten, entfällt die Steuerbefreiung unmittelbar. Der Umsatz, mit dem die Grenze erstmals überschritten wird, unterliegt der Regelbesteuerung. Alle bis zu diesem Zeitpunkt ausgeführten Umsätze bleiben weiterhin steuerfrei. Ab Überschreiten der Grenze gelten für alle weiteren Umsätze die allgemeinen umsatzsteuerlichen Vorschriften, insbesondere hinsichtlich der Rechnungsstellung nach § 14 UStG, des Vorsteuerabzugs nach § 15 UStG sowie der Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen nach § 18 UStG. 5. Verzicht auf die Anwendung der Kleinunternehmerregelung ab dem 1. Januar 2025 Auf die Anwendung der Kleinunternehmerregelung kann verzichtet werden. Dann darf die Vorsteuer aus den Eingangsrechnungen abgezogen werden, gleichzeitig müssen jedoch Rechnungen mit Umsatzsteuer gestellt werden. Zudem kommen weitere Aufgaben, wie die Erstellung von monatlichen oder quartalsweisen Umsatzsteuervoranmeldungen und jährlichen Umsatzsteuererklärungen auf den Unternehmer zu. Die Erklärung auf den Verzicht auf die Anwendung der Kleinunternehmerregelung (§ 19 Abs. 3 S. 1 UStG) gegenüber dem zuständigen Finanzamt kann formlos erfolgen. Dieser Verzicht ist bis spätestens zum Ablauf des Monats Februar des zweiten auf den betreffenden Besteuerungszeitraum folgenden Kalenderjahres möglich. Die Verzichtserklärung bindet den Unternehmer gem. § 19 Abs. 3 S. 3 UStG für einen Zeitraum von fünf Kalenderjahren an die Regelbesteuerung. Nach Ablauf dieser Frist bleibt die Regelbesteuerung weiterhin anwendbar, bis der Unternehmer den Verzicht ausdrücklich widerruft. Ein solcher Widerruf ist frühestens nach Ablauf der Fünfjahresfrist zulässig. III. Fazit Für Sie als Unternehmer, der die Kleinunternehmerregelung in Anspruch nimmt, ist daher Folgendes in der Praxis zu beachten: Erstellen Sie bereits laufend unterjährig eine Übersicht über die in Rechnung gestellten Umsätze. Der Umsatz, der die Grenze von € 100.000 überschreitet, ist umsatzsteuerpflichtig und Sie müssen eine Rechnung mit allen Pflichtangaben und unter Ausweis des richtigen Steuersatzes erstellen. Eine laufende Umsatzüberwachung mithilfe einer monatlichen Buchführung kann hierfür sinnvoll sein. Achten Sie stets darauf, dass Sie bei Inanspruchnahme der Kleinunternehmerregelung keine Umsatzsteuer auf Ihren Rechnungen ausweisen, da Sie einerseits nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind, Sie andererseits aber durch diese falsche Angabe dazu verpflichtet wären, die Umsatzsteuer an das Finanzamt zu entrichten. Sie sind dazu verpflichtet in Ihren Rechnungen auf die Anwendung der Kleinunternehmerregelung hinzuweisen. Eine einfache Formulierung („steuerfreier Kleinunternehmer“) reicht hierbei aus. Beachten Sie, dass Sie als Kleinunternehmer in der Lage sein müssen, E-Rechnungen zu empfangen. Das Ausstellen von E-Rechnungen durch den Kleinunternehmer ist hingegen ein Wahlrecht. Bei Fragen zur Überwachung der Umsatzgrenzen, Fragen zur Rechnungsstellung oder Fragen zur Möglichkeit des Verzichts auf die Anwendung der Kleinunternehmerregelung können Sie sich gerne an Ihren Pelka-Berater oder Frau Marie-Christine Schröder wenden. Wir unterstützen Sie gerne.

I. Einleitung Der Bundesrat hat am 11.07.2025 dem vom Bundestag am 04.06.2025 beschlossenen „Gesetzesentwurf für ein steuerliches Investitionsprogramm zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts Deutschland“ zugestimmt. Ziel des Gesetzes ist es, den Wirtschaftsstandort Deutschland nach zwei Jahren ohne Wirtschaftswachstum wieder attraktiver zu machen. Aufgrund des Förderprogramms sind Mindereinnahmen bei Bund, Ländern und Kommunen in Höhe von bis zu 48 Milliarden Euro zu erwarten. Die voraussichtlichen Steuerausfälle werden bis einschließlich 2029 in voller Höhe vom Bund übernommen. Darüber hinaus investiert der Bund zur Entlastung der Länder zwischen 2026 und 2029 zusätzlich acht Milliarden Euro in Kitas, andere Bildungseinrichtungen sowie Krankenhäuser. Insgesamt rechnet der Bund jedoch damit, dass die Steuereinnahmen durch Investitionen insgesamt steigen werden. Nachfolgend möchten wir Ihnen einen kurzen Überblick über die wichtigsten Regelungen des Gesetzes, das auch „Wachstums- oder Innovations-Booster“ genannt wird, verschaffen: II. Die Einzelheiten im Überblick 1. “Investitions-Booster“ durch degressive Abschreibungen Unternehmen haben wieder die Möglichkeit, höhere Abschreibungen für die Anschaffung oder Herstellung beweglicher, abnutzbarer Wirtschaftsgüter in Anspruch zu nehmen. Die erhöhte Abschreibung ist auf bewegliche Wirtschaftsgüter, die im Zeitraum vom 01.07.2025 bis 31.12.2027 angeschafft bzw. hergestellt werden, begrenzt. Sie gilt nicht für unbewegliche und immaterielle Wirtschaftsgüter. Ein bewegliches Wirtschaftsgut, wie z. B. eine Maschine, kann aufgrund der Neuregelung mit bis zum Dreifachen der jeweiligen jährlichen linearen AfA, maximal bis zu 30% der Anschaffungskosten abgeschrieben werden. In den Folgejahren können jeweils bis zu 30% des jeweiligen Restbuchwertes abgeschrieben werden. Die Möglichkeit der höheren Abschreibung soll die Unternehmen in der unmittelbaren Phase nach einer Investition entlasten und so weitere Neuinvestitionen fördern. 2. Steuerliche Entlastung für Unternehmen 2.1 Senkung der Steuerbelastung für Kapitalgesellschaften Die Steuerbelastung für Kapitalgesellschaften wird gesenkt. So verringert sich die Körperschaftsteuer ab dem Jahr 2028 jährlich um jeweils 1% von aktuell 15% auf 10% im Jahr 2032. Diese Maßnahme soll den Unternehmen vor allem mehr Planungssicherheit geben. Darüber hinaus wird mit der Senkung der durchschnittlichen Gesamtsteuerbelastung (Körperschaftsteuer, Solidaritätszuschlag und Gewerbesteuer) von derzeit rd. 30% auf rd. 25% die Liquidität der Unternehmen gesteigert. 2.2 Senkung der Steuerbelastung für Einzelunternehmer und Personengesellschaften: Soweit Gewinne nicht entnommen wurden, konnten diese bislang wahlweise mit dem persönlichen Steuersatz besteuert oder – auf Antrag – mit dem ermäßigten Steuersatz von 28,25% besteuert werden (Thesaurierungsbesteuerung für Gewinne aus Gewerbebetrieb oder aus selbständigen Einkünften). Aufgrund der sukzessiven Senkung des Körperschaftsteuersatzes von 15% auf 10% wird der Steuersatz für die Thesaurierungsbesteuerung ebenfalls gesenkt und zwar für die Jahre 2028 und 2029 auf 27%, 2030 und 2031 auf 26% und ab 2032 auf 25%. Hier weisen wir auf die Nachversteuerung späterer Entnahmen hin; diese sollen jedoch nicht mit dem Spitzensteuersatz versteuert werden. 3. Investitions-Booster für E-Mobilität bei Unternehmen 3.1 Degressive Abschreibung mit fallenden Staffelsätzen: Im Jahr der Anschaffung rein elektrisch betriebener Fahrzeuge, die zum Anlagevermögen gehören, können nun bis zu 75 % der Anschaffungskosten abgeschrieben werden. In den Folgejahren sinkt der jeweiligen Abschreibungssatz auf 10% im zweiten Jahr, auf 5% im dritten und vierten Jahr, auf 3% im fünften Jahr und auf 2% im sechsten Jahr. Diese Neuregelung gilt nicht nur für Pkw, sondern auch für sämtliche Nutzfahrzeuge, soweit sie rein elektrisch betrieben werden. Darüber hinaus kann die degressive Abschreibung mit fallenden Staffelsätzen für Anschaffungen ab dem 01.07.2025 bis zum 31.12.2027 in Anspruch genommen werden. 3.2 Erhöhung der Bruttolistenpreisgrenze für E-Dienstwagen Die Obergrenze für die Bemessungsgrundlage von Elektrofahrzeugen, die mit 0,25% statt 1,0% des Listenpreises zu versteuern sind, wird von EUR 70.000,00 auf EUR 100.000,00 erhöht. 4. Begünstigungen der steuerlichen Forschungszulage Die steuerliche Forschungszulage wurde erstmalig mit dem Gesetz zur steuerlichen Förderung von Forschung und Entwicklung vom 14.12.2019 eingeführt. Sie soll den Investitionsstandort Deutschland stärken und die Forschungsaktivitäten v. a. kleiner und mittlerer Unternehmen fördern. Gefördert werden insbesondere Forschungs- und Entwicklungsvorhaben, soweit sie einer oder mehreren Kategorien der Grundlagenforschung, industriellen Forschung oder experimentellen Entwicklung zuzuordnen sind. Die Höhe der Forschungszulage richtet sich nach den jeweils förderfähigen Aufwendungen. Die Obergrenze der förderfähigen Bemessungsgrundlage von bisher 10 Mio. EUR wird ab dem Jahr 2026 auf 12 Mio. EUR pro Jahr erhöht. Darüber hinaus wurden die förderfähigen Aufwendungen erweitert. Künftig können Gemein- und Betriebskosten mit 20% der förderfähigen Personalkosten berücksichtigt werden. Zudem beträgt der förderfähige Stundensatz für erbrachte Eigenleistungen künftig 100 EUR statt bisher 70 EUR. Diese Maßnahmen sollen insbesondere Investitionsanreize in Forschung und Innovation bieten. III. Fazit Ein „Gesetz für ein steuerliches Investitionsprogramm zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts Deutschland“ war vor dem Hintergrund ausbleibenden Wirtschaftswachstums sicherlich längst überfällig. Nach der nun erfolgten Zustimmung des Bundesrats kann das Gesetz ausgefertigt und verkündet werden. Es tritt am Tag der Verkündung in Kraft. Die Änderungen des Forschungszulagengesetzes treten ab 01.01.2026 in Kraft. Unternehmen haben mit der in Kürze zu erwartenden Verkündung des Gesetzes - zumindest für die nächsten Jahre - mehr Planungssicherheit für Investitionen. Inwieweit die Maßnahmen tatsächlich zum erhofften „Investitions-Booster“ und damit zur Stärkung der Attraktivität sowie der Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland führen, hängt sicherlich nicht nur von innenpolitischen, sondern auch von außenpolitischen Faktoren ab und bleibt daher abzuwarten. Wenn Sie Fragen zu den einzelnen „Booster-Maßnahmen“ haben oder wie sich diese konkret in Ihrem Unternehmen umsetzen lassen, setzen Sie sich mit Ihrem Pelka-Berater oder Herrn Robin Schuh in Verbindung. Gerne können Sie auch unser Kontaktformular ausfüllen.

I. Einleitung Erbschaften und Schenkungen unterliegen in Deutschland grundsätzlich der Erbschaft- bzw. Schenkungsteuer. Was unter einer Erbschaft bzw. einem „Erwerb von Todes wegen“ zu verstehen ist, ist dabei den meisten Steuerpflichtigen geläufig. Was alles als steuerrechtliche Schenkung anzusehen ist, kann hingegen schwieriger zu bestimmen sein. So drängt es sich beispielsweise nicht sogleich auf, dass auch die im Alltag unter Verwandten nicht selten anzutreffende zinslose oder verbilligte Gewährung eines Darlehens einen schenkungsteuerlich relevanten Vorgang bilden kann. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in diesem Zusammenhang jüngst zur Bemessung der Schenkungsteuer bei niedrig verzinsten Darlehen geurteilt. Nachfolgend sollen die steuerrechtlichen Hintergründe kurz erläutert werden. II. Hintergrund: Schenkungsteuer bei vorteilhaften Darlehen 1. Zinslose/zu niedrig verzinste Darlehen als freigebige Zuwendungen Schenkungen unterliegen grundsätzlich der Schenkungsteuer. Das Gesetz definiert in § 7 ErbStG, was alles unter den steuerrechtlichen Begriff der Schenkung fällt. Ausgangspunkt ist dabei nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG jede freigebige Zuwendung unter Lebenden, soweit der Bedachte durch sie auf Kosten des Zuwendenden bereichert wird. Darunter fallen seit jeher auch zinslose oder zu niedrig verzinste Darlehen, auch wenn eine Rückzahlung erfolgen muss. Gegenstand dieses Geschenks ist das Recht, das als Darlehen gewährte Kapital zu einem niedrigen Zinssatz als marktüblich/zinslos zu nutzen. Der Wert dieses Nutzungsvorteils bemisst sich daher in solchen Fällen nach dem Zinsvorteil, der sich aus der Differenz des vereinbarten Zinssatzes mit dem sich aus § 15 Abs. 1 BewG ergebenden Zinssatz ergibt. Danach ist, wenn kein anderer Wert feststeht, grundsätzlich von dem gemeinen Wert der Nutzung i.H.v. 5,5% auszugehen. Wird eine Geldsumme auf unbestimmte Zeit zinslos bzw. verbilligt überlassen, so wird der Geldbetrag mit dem gesetzlich vorgegebenen Zinssatz i.H.v. 5,5% und dem gesetzlichen Faktor 9,3 multipliziert. Beispiel: Großmutter G gewährt ihrem Enkel E für den Erwerb von Grundbesitz ein Darlehen i.H.v. € 500.000. Es wird vereinbart, dass die Summe nicht zu verzinsen ist und die Rückzahlung dann erfolgen solle, „wenn es gerade passt“. Ein marktüblicher Zinssatz kann nicht ermittelt werden. Im Jahr der Gewährung des Darlehens ergibt sich nach den oben genannten Grundsätzen eine anzeigepflichtige Schenkung i.H.v. € 255.750 (€ 500.000 * 5,5% * 9,3). Das Finanzamt würde nach Anzeige des Erwerbs und unter Berücksichtigung des alle zehn Jahre zur Verfügung stehenden Freibetrags und der gesetzlich vorgesehenen Abrundung des Betrags auf volle Hundert Schenkungsteuer i.H.v. € 3.899 ((€ 255.700 – Freibetrag € 200.000) * Steuersatz 7%) festsetzen. 2. Steuernachforderung auch nach Jahrzehnten vom Finanzamt möglich Für die Schenkungsteuer gibt es Besonderheiten bei der Festsetzungsverjährung. Die Festsetzungsverjährung hat Einfluss darauf, bis wann das Finanzamt spätestens nachträglich Schenkungsteuer festsetzen kann. Je nach Sachverhalt beträgt diese Frist vier, fünf oder zehn Jahre. Für die Schenkungsteuer beginnt diese Frist aber erst mit Ablauf des Jahres, in dem der Schenker gestorben oder die Finanzbehörde von der vollzogenen Schenkung Kenntnis erlangt hat. Dies kann je nach Sachverhalt dazu führen, dass die Festsetzungsfrist erst sehr spät in Gang gesetzt wird, sodass das Finanzamt mitunter auch bei Schenkungen, die bereits Jahrzehnte zurückliegen, noch nachträglich Schenkungsteuer festsetzen kann, sollte eine gesetzlich vorgesehene Anzeige der Schenkung wissentlich oder unwissentlich unterblieben sein. III. Urteil des Bundesfinanzhofs 1. Sachverhalt Mit Darlehensvertrag vom 03.11.2016 erhielt der spätere Kläger von seiner Schwester ein Darlehen i.H.v. € 1.875.768,05 ausgezahlt. Es wurde eine jährliche Verzinsung von 1% vereinbart. Die Darlehensvereinbarung sah zudem vor, dass das Darlehen auf unbestimmte Zeit gewährt wird und mit einer Frist von zwölf Monaten erstmals zum 31.12.2019 gekündigt werden kann. Das Finanzamt setzte Schenkungsteuer i.H.v. € 229.500 fest. Es ermittelte diesen Wert, indem es den schenkungsteuerpflichtigen Erwerb i.H.v. € 785.008 ansetzte. Der schenkungsteuerliche Erwerb ist das Produkt aus der überlassenen Geldsumme und der Zinsdifferenz aus dem vorgegebenen Zinssatz von 5,5% und dem tatsächlichen Zinssatz von 1% und dem gesetzlichen Vervielfältiger für eine unbestimmte Laufzeit von 9,3: € 1.875.768,05 * 4,5% * 9,3 = € 785.008. Der Kläger legte hiergegen u.a. mit der Begründung Einspruch ein, dass für seinen Fall ein marktüblicher Zinssatz von 2,67% bis 2,81% zur Bestimmung der Zinsdifferenz feststehe und daher anzusetzen sei. Entsprechend sei eine Zinsdifferenz von 1,67% bis 1,81% (2,67/2,81% abzüglich vereinbarte Verzinsung von 1%) zur Ermittlung des schenkungsteuerpflichtigen Erwerbs anzusetzen. Das Finanzamt und später das Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern folgten dieser Argumentation nicht, da zwar ein durchschnittlicher Zinssatz von 2,81% für wirtschaftlich Selbständige feststehe, es aber nicht erkennbar sei, dass der Kläger auf dem Kapitalmarkt eine vergleichbare Finanzierung zu einem niedrigeren Zinssatz habe erhalten können. 2. Entscheidungsgründe Der BFH hingegen stützte mit seinem Urteil die Ansicht des Klägers (BFH-Urteil v. 31.07.2024, Az. II R 20/22). Es sei widersprüchlich von Finanzamt und Finanzgericht gewesen, auf der einen Seite festzustellen, dass im maßgeblichen Zeitraum der durchschnittliche Zinssatz für vergleichbare Personen (wirtschaftlich Selbständige) effektiv bei 2,81% gelegen habe, auf der anderen Seite, dass ein niedriger als der in § 15 Abs. 1 BewG festgelegte Zinssatz nicht feststehe. Das Gesetz sehe in § 15 Abs. 1 BewG lediglich vor, dass 5,5% anzusetzen sind, wenn kein anderer Wert feststeht. Die Feststellung eines anderen Werts kann dabei auf verschiedene Art erfolgen, es ist nicht zwingend erforderlich, dass der Steuerpflichtige den anderen Zinssatz nachweisen müsse. Dies stehe auch nicht im Widerspruch zu vorheriger BFH-Rechtsprechung, denn die bisherige BFH-Rechtsprechung hat lediglich betont, dass kein allgemeiner marktüblicher Zinssatz herangezogen werden könne, bei dem nicht bekannt sei, ob die zugrundeliegenden Darlehen zu vergleichbaren Bedingungen abgeschlossen wurden wie das tatsächlich vereinbarte Darlehen. Dadurch werde aber nicht ausgeschlossen, dass ein marktüblicher Zinssatz heranzuziehen ist, wenn das Finanzgericht diesen bei Vergleichbarkeit der dem Darlehen zugrundeliegenden Bedingungen festgestellt hat. Daher kann auf der Grundlage des festgestellten Zinssatzes von 2,81% für einen Fall wie dem streitgegenständlichen ein Nutzungsvorteil durch die Zinsdifferenz von 1,81% (2,81% abzüglich der vereinbarten 1%) pro Jahr angesetzt werden. Der Wert der Bereicherung war daher mit € 315.748,02 (€ 1.875.768,05 * 1,81% * 9,3) zu ermitteln, unter Berücksichtigung der weiteren Umstände des Falls waren entsprechend € 59.140 Schenkungsteuer festzusetzen. IV. Fazit Dass insbesondere zwischen Verwandten Darlehen vergünstigt oder zinsfrei gewährt werden, ist keine Ausnahmeerscheinung. Sollte in diesem Zusammenhang eine Anzeige an das Finanzamt versehentlich unterblieben sein, kann aufgrund des sehr späten Beginns der Festsetzungsverjährung die „Sache nicht ausgesessen werden“. Das BFH-Urteil ermöglicht es indes nun durch Nachweis eines niedrigeren marktüblichen Zinssatzes den Wert der Schenkung und damit die Höhe der etwaigen Schenkungsteuer spürbar zu reduzieren. Insbesondere vor dem Hintergrund der zurückliegenden langen Niedrigzinsphase ist die Entscheidung des BFH zu begrüßen.

In der zunehmend digitalisierten Arbeitswelt verarbeiten Unternehmen große Mengen sensibler Daten, insbesondere im Personalwesen. Diese Daten unterliegen besonderen Schutzanforderungen, um Missbrauch vorzubeugen. Die Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) verpflichtet dazu, Daten nur so lange zu speichern, wie es für den jeweiligen Zweck erforderlich ist. Ein strukturiertes Löschkonzept für Personaldokumente ist deshalb ein unverzichtbarer Bestandteil moderner Datenschutzstrategien. Ein Löschkonzept ist eine Planaufstellung, die den spezifischen Datenkategorien individuelle, auf das verantwortliche Unternehmen zugeschnittene Speicherfristen zuweist und so Transparenz und Rechtssicherheit schafft. I. Rechtlicher Rahmen Nach Art. 17 Abs. 1 DS-GVO haben betroffene Personen das Recht, die unverzügliche Löschung ihrer personenbezogenen Daten zu verlangen, wenn einer der in der Norm genannten Gründe vorliegt. Besonders relevant ist der Fall, dass der Zweck für die Erhebung oder Verarbeitung der Daten nach Art. 17 Abs. 1 a) DS-GVO entfallen und eine weitere Speicherung nicht mehr erforderlich ist. Dieses sogenannte „Recht auf Vergessenwerden“ verpflichtet Unternehmen dazu, Daten aktiv zu löschen, sobald sie nicht mehr benötigt werden. Dem gegenüber steht das Bedürfnis, Daten für gewisse Zeiträume zu bewahren. Solche Aufbewahrungsfristen ergeben sich insbesondere aus dem Bundesdatenschutzgesetz (BDSG), der Abgabenordnung (AO) und dem Handelsgesetzbuch (HGB). Aus diesen Gesetzen lassen sich Mindestaufbewahrungszeiten ableiten, die durch Unternehmen zwingend einzuhalten sind, woraus wiederum auf den Zeitpunkt der Löschung geschlossen werden kann. Darüber hinaus können sich Fristen auch mittelbar aus anderen gesetzlichen Regelungen ergeben. II. Risiken ohne Löschkonzept Unternehmen, die kein systematisches Löschkonzept implementiert haben, setzen sich dem Risiko aus, gegen datenschutzrechtliche Vorgaben zu verstoßen, indem sie die Daten zu früh löschen oder zu lange aufbewahren. In der Folge können Datenschutzaufsichtsbehörden Bußgelder verhängen. Bereits bei geringfügigen Verfehlungen sind Sanktionen möglich; bei schwerwiegenden Verstößen drohen Bußgelder, die bis zu 20 Millionen Euro oder vier Prozent des Jahresumsatzes eines Unternehmens betragen können. Betroffene Personen haben außerdem Anspruch auf Schadensersatz, wenn ihnen durch die unzulässige Datenverarbeitung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist. Insbesondere bei einer hohen Anzahl Betroffener kann dies zu beträchtlichen finanziellen Belastungen führen. Sogar strafrechtliche Konsequenzen sind denkbar: Wird der Verstoß mit Bereicherungsabsicht begangen, kann dies mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren geahndet werden. Auch praktische Auswirkungen sind nicht zu unterschätzen: Überlang gespeicherte Datenmengen können IT-Systeme belasten, Speicherplatz blockieren und Arbeitsprozesse verlangsamen – etwa, wenn die Suche nach relevanten Informationen unverhältnismäßig viel Zeit in Anspruch nimmt. III. Vorteile eines Löschkonzeptes Ein strukturiertes Löschkonzept dokumentiert nicht nur die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften, sondern signalisiert auch Problembewusstsein gegenüber der zuständigen Aufsichtsbehörde. Sollte es dennoch zu Verstößen gegen datenschutzrechtliche Lösch- und Aufbewahrungsfristen kommen, ist mit milderen Sanktionen zu rechnen, da das Verschulden des Verantwortlichen und ergriffene Präventivmaßnahmen im Rahmen des behördlichen Ermessens gemäß Art. 83 Abs. 2 Satz 2 DS-GVO berücksichtigt werden. Zudem bietet ein Löschkonzept mit klaren Handlungsanweisungen Transparenz und Rechtssicherheit für Betroffene sowie für die zur Löschung verantwortlichen Personen. Es stellt sicher, dass sowohl die Rechte betroffener Personen als auch die rechtlichen Interessen des Unternehmens gewahrt werden. IV. Umsetzung eines Löschkonzepts Die Nutzung eines allgemeingültigen Musters als Löschkonzept ist nicht zweckmäßig, da die Fristen individuell auf die Prozesse und Datenstrukturen des jeweiligen Unternehmens angepasst werden müssen. Die Konzeptentwicklung sollte die folgenden Schritte umfassen. 1. Bestandsaufnahme Zunächst müssen alle im Unternehmen vorhandenen personenbezogenen Daten identifiziert und kategorisiert werden. Die Klassifizierung ist insbesondere nach Art und Sensibilität der Daten vorzunehmen. 2. Aufbewahrungs- und Löschfristen Nach Erfassung der gesetzlich vorgegebenen Aufbewahrungs- und Löschfristen sind auf das Unternehmen abgestimmte interne Fristen festzulegen. Diese sollten zum einen dem Bedürfnis auf Aufbewahrung – zum Beispiel für eine spätere rechtliche Auseinandersetzung – und zum anderen dem Recht der betroffenen Person auf rechtzeitige Löschung ihrer Daten gerecht werden. 3. Form der Aufbewahrung Je nach Dokumentenart gelten unterschiedliche Anforderungen an die Form der Aufbewahrung, welche im Konzept benannt werden sollten. So ist beispielsweise ein Kündigungsschreiben nach § 623 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) in Schriftform aufzubewahren, während eine Abmahnung auch in elektronischer Form gespeichert werden kann. 4. Verantwortlichkeit Darüber hinaus sollten klare Zuständigkeiten zur Überwachung der Fristen und Ausführung der Löschvorgänge festgelegt werden. 5. Dokumentation Damit im Bedarfsfall die erforderlichen Nachweise erbracht werden können, sollten sämtliche Löschvorgänge nachvollziehbar protokolliert werden. 6. Schulung der Mitarbeiter Verantwortliche Personen, insbesondere Mitarbeitende der Personalabteilung und der IT sowie Führungskräfte, sollten regelmäßig geschult und in ihrem datenschutzrechtlichen Bewusstsein sensibilisiert werden. V. Aufbewahrung von Personaldokumenten. Im Bereich des Personalwesens gelten für verschiedene Dokumente stark voneinander abweichende Speicherfristen. Da der Zweck der Aufbewahrung nur für einen kurzen Zeitraum besteht, sind etwa Bewerbungsunterlagen grundsätzlich nur für eine Dauer von drei bis sechs Monaten aufzubewahren, sofern keine Einstellung erfolgt. Dies ergibt sich unter anderem aus der zweimonatigen Frist zur Geltendmachung von Entschädigungs- oder Schadensersatzansprüchen aus dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Demgegenüber sollten Dokumente, die Leistungsansprüche aus der betrieblichen Altersvorsorge begründen, bis zu 30 Jahre aufbewahrt werden, da derartige Ansprüche gemäß § 18a Satz 1 des Betriebsrentengesetzes (BetrAVG) erst nach Ablauf dieser Zeitspanne verjähren. Eine ebenfalls lange Frist gilt beispielsweise für die Archivierung von Lohnunterlagen mit Bezug zu der betrieblichen Gewinnermittlung, welche nach den Vorgaben der Abgabenordnung für bis zu zehn Jahre aufzubewahren sind. VI. Abmahnungen in der Personalakte Insbesondere die Aufbewahrung und Vernichtung von Abmahnungen bereitet Unklarheiten, wenn kein konkretes Konzept besteht. Hier besteht keine gesetzliche Vorgabe zur Speicherung oder Löschung und eine analoge Anwendung vergleichbarer Regelungen kommt ebenso wenig in Betracht. Fest steht, dass eine Abmahnung dann aus der Personalakte zu löschen ist, wenn auf der einen Seite ihre Warnfunktion verwirkt ist und auf der anderen Seite kein länger andauernder Speicherzweck besteht. Die Warnfunktion der Abmahnung besteht nicht unendlich, da insbesondere leichte Pflichtverletzungen im menschlichen Zusammenleben hinzunehmen sind. Sämtliche Zwecke zur Speicherung entfallen, wenn die Abmahnung für die Beendigung oder Durchführung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr erforderlich ist. Nach der Rechtsprechung ist die Dauer der Verwirkung abhängig von der Schwere eines Verstoßes. Während die Abmahnung wegen einer einfachen Pflichtverletzung bereits nach 16 Monaten verwirken kann, beträgt diese Frist bei sehr schweren Pflichtverletzungen im Einzelfall zehn Jahre oder länger. Indiz für die Dauer ist insbesondere die Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie das Bestehen von vorherigen, gleichartigen Pflichtverletzungen. In Anbetracht dieser vielfältigen Zeitspannen ist es wichtig, individuelle Regelungen im Unternehmen zu erarbeiten. VII. Fazit Mit dem am 01.01.2025 in Kraft getretenen Bürokratieentlastungsgesetz wurden einige Aufbewahrungsfristen verkürzt. Da die gesetzlichen Vorgaben sich im ständigen Wandel befinden, neue Datenarten entwickelt werden und zusätzliche Cyber-Bedrohungen entstehen, sollte auch ein Konzept zur Datenlöschung regelmäßig überprüft und angepasst werden. Ein durchdachtes Löschkonzept für Personaldokumente bietet Rechtsklarheit, Effizienz und Datensicherheit. Unternehmen sollten daher frühzeitig handeln und Löschprozesse in ihre Personal- und IT-Systeme integrieren. Wir unterstützen Sie gerne bei der Erarbeitung eines Löschkonzeptes für Ihr Unternehmen. Füllen Sie hierzu gerne unser Kontaktformular aus.

Mit Urteil vom 28.01.2025 hat das Bundesarbeitsgericht (BAG, Az: 9 AZR 48/24) entschieden, dass Arbeitgeber Entgeltabrechnungen wirksam erteilen können, indem sie diese in ein digitales Mitarbeiterpostfach einstellen. Das BAG stellte klar, dass auf diese Weise der gesetzlich vorgeschriebenen Textform im Sinne des § 126b BGB Genüge getan werde. Die Einrichtung eines digitalen Mitarbeiterpostfachs entspreche auch den Anforderungen des § 108 GewO. Es bestehe kein Anspruch auf Erteilung von Abrechnungen in Papierform. Vielmehr begründe der gesetzliche Anspruch auf Erteilung einer Entgeltabrechnung eine Holschuld, die der Arbeitgeber grundsätzlich dadurch erfüllen könne, dass er die Abrechnung in ein passwortgeschütztes digitales Mitarbeiterpostfach einstelle. I. Sachverhalt und Hintergründe Im dem Verfahren, das dem BAG-Urteil zugrunde liegt, hatte sich eine Arbeitnehmerin dagegen gewehrt, dass ihre Abrechnung nur digital in ihr Postfach eingestellt wurde. Sie vertrat die Auffassung, ihr Anspruch auf Erteilung von Entgeltabrechnungen sei durch die Bereitstellung elektronischer Entgeltabrechnungen in einem digitalen Mitarbeiterpostfach nicht erfüllt worden. Aus § 108 Abs. 1 GewO folge die Notwendigkeit der postalischen Übermittlung. Außerdem hätte sie der Verwendung eines Mitarbeiterpostfaches vor dessen Inbetriebnahme zustimmen müssen. Dem stehe allerdings ihr ausdrücklich erklärter Widerspruch entgegen. Die Klägerin beantragte, ihr auch weiterhin ihre Abrechnungen postalisch zu übermitteln. Die Beklagte begründet ihren Klageabweisungsantrag damit, dass § 108 Abs. 1 GewO kein Zugangserfordernis im Sinne des § 130 Abs. 1 BGB vorgebe. Es sei daher ausreichend, wenn dem Mitarbeiter die Möglichkeit gegeben werde, über ein digitales Postfach auf seine Entgeltabrechnungen zuzugreifen. Das im vorliegenden Fall verwendete Programm stelle eine ausreichende Empfangsvorrichtung dar, die mit einem Briefkasten im Machtbereich des Mitarbeiters vergleichbar sei. Nachdem erstinstanzlich beim Arbeitsgericht zuungunsten der Klägerin entschieden worden war, gab das Landesarbeitsgericht Niedersachsen der Klage der Klägerin statt. Das BAG sah die Revision der Beklagten als begründet an und hob das Urteil des Landesarbeitsgerichts auf. Das Landesarbeitsgericht habe zu Unrecht angenommen, dass die Beklagte den Anspruch der Klägerin aus § 108 Abs. 1 GewO auf Erteilung der Entgeltabrechnungen nicht durch die Einstellung in das digitale Mitarbeiterpostfach erfüllt habe. Es bestehe kein Anspruch auf Erteilung von Abrechnungen in Papierform. II. Erteilung von Entgeltabrechnungen unter Berücksichtigung von § 108 GewO, § 126b BGB und § 130 BGB Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 GewO ist dem Arbeitnehmer bei Zahlung des Arbeitsentgelts eine Abrechnung in Textform zu erteilen. Nach Satz 2 muss eine solche Abrechnung mindestens Angaben zu Abrechnungszeitraum und Zusammensetzung des Arbeitsentgelts enthalten. Nach Auffassung des BAG setzt § 108 Abs. 1 Satz 1 GewO aber nicht voraus, dass die Lohnabrechnung dem Arbeitnehmer entsprechend § 130 Abs. 1 BGB zugehen müsse. Bei Entgeltabrechnungen handele es sich um Wissenserklärungen, auf die § 130 Abs. 1 BGB keine Anwendung finde. Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 GewO sei die Lohnabrechnung „zu erteilen“. Dies lasse sich als „zuteilwerden lassen“, „zukommen lassen“ lesen und enthalte demzufolge nicht das Erfordernis des Zugangs. Mit der Einstellung der Abrechnungen in ein digitales Postfach lasse der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Abrechnung zukommen, sodass die Voraussetzung des § 108 Abs. 1 GewO erfüllt sei. Der Arbeitgeber komme seiner Verpflichtung aus § 108 Abs. 1 Satz 1 GewO nach, indem er die Abrechnungen in ein digitales Mitarbeiterpostfach einstelle. Auf einen Zugang gem. § 130 Abs. 1 BGB komme es nicht an. Ferner sei es irrelevant, ob der Verwendung eines Mitarbeiterpostfachs zugestimmt werde. Soweit durch Gesetz Textform vorgeben sei, werde diese gem. § 126b BGB dadurch gewahrt, dass auf einem dauerhaften Datenträger eine lesbare Erklärung abgegeben werde, in der die Person des Erklärenden genannt sei. Ein dauerhafter Datenträger sei jedes Medium, das es dem Empfänger ermögliche, eine sich auf diesem befindliche, an ihn persönlich gerichtete Erklärungen so aufzubewahren oder zu speichern, dass er darauf zugreifen und die gespeicherte Erklärung unverändert wiedergeben könne. Diese Voraussetzungen seien durch ein digitales Mitarbeiterpostfach erfüllt. Aufgrund datenschutzrechtlicher Mechanismen wie Benutzernamen und Passwörtern, erhielten die Mitarbeiter einen sicheren Speicherbereich für die Entgeltabrechnungen, den der Arbeitgeber nicht nachträglich abändern könne. Durch die Einstellung in ein digitales Postfach werde dem Mitarbeiter auch ausreichend transparent mitgeteilt, warum gerade der genannte Betrag ausgezahlt werde. Darüber hinaus erfülle die digitale Einstellung von Lohnabrechnungen auch in örtlicher Hinsicht die Voraussetzungen des § 108 GewO. Beim Anspruch auf Erteilung einer Lohnabrechnung nach § 108 Abs. 1 GewO handele es sich um eine Holschuld, bei der Leistungshandlung und -erfolg in der Sphäre des Arbeitgebers liegen würden. Demnach seien Arbeitspapiere vom Arbeitnehmer grundsätzlich in der Niederlassung des Arbeitgebers abzuholen. Dies betreffe alle Dokumente, die der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer über das Arbeitsverhältnis zu erteilen habe. Der Arbeitgeber sei somit von seiner Leistungspflicht befreit, wenn er die Leistung bereitstelle. Dafür genüge auch das digitale Mitarbeiterpostfach. Der Arbeitgeber sei nicht verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die Abrechnungen dem Mitarbeiter auch tatsächlich zugehen. Allerdings habe der Arbeitgeber die Pflicht, solchen Beschäftigten, die keine eigene Möglichkeit zum digitalen Abruf haben, die Möglichkeiten zu gewähren, den Abruf z.B. im Betrieb vorzunehmen. III. Fazit Das Urteil führt zu einer deutlichen Erleichterung für den Arbeitgeber bzw. die lohnabrechnende Stelle. Der Arbeitgeber ist nicht mehr verpflichtet, alle Abrechnungen auszudrucken und per Post an seine Arbeitnehmer zu versenden. Auch wenn viele Arbeitgeber in den letzten Jahren bereits auf digitale Abrechnungen umgestellt haben, wird diese Praxis doch erst durch das Urteil des BAG rechtssicher. Die digitale Abrechnung ist nur ein Beispiel dafür, dass die Digitalisierung in der Lohnabrechnung schon lange Einzug gehalten hat. Gerade der Bereich der Lohnbuchhaltung erfordert aber auch einen rechtssicheren und effizienten Prozess, der für beide Seiten hinreichend nachvollziehbar ist. Wenn Sie sich mit digitalen Entgeltabrechnungen beschäftigen oder darüber nachdenken, wie sich Ihre Entgeltabrechnung effizienter gestalten lässt, helfen wir Ihnen gerne weiter. Unser „Team Lohn“, das aus sieben hochqualifizierten Mitarbeitern besteht, berät Sie zuverlässig, transparent und rechtssicher im Bereich der Lohnbuchhaltung und hilft Ihnen bei allen Fragen, die sich in diesem Zusammenhang ergeben können, gerne weiter. Füllen Sie hierzu gerne unser Kontaktformular aus.

Mit seinem Urteil vom 09.01.2025 (C 394/23) hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) neue Aspekte der Diskussion um den Datenschutz im digitalen Raum beleuchtet. Gegenstand des Verfahrens war die Wahl einer binären Anrede beim Online-Ticketkauf, die Kunden verpflichtete, zwischen den Optionen „Herr“ oder „Frau“ zu wählen – ohne Möglichkeit, das Feld offen zu lassen oder alternative Bezeichnungen auszuwählen. Das Urteil befasst sich mit den Anforderungen an die Datenverarbeitung nach der Datenschutz-Grundverordnung (DS GVO) und der inklusiven Gestaltung digitaler Geschäftsprozesse. I. Ausgangslage: Binäre Anrede beim Online-Ticketkauf Im zugrundeliegenden Fall ging es um den Online-Verkauf von Bahnfahrten, bei welchem die Nutzer im Rahmen ihrer Buchung zwingend eine geschlechtsspezifische Anrede angeben mussten. Anders als bei vielen Online-Formularen, die alternative Optionen wie „divers“ oder „keine Angabe“ zur Verfügung stellen, wurde hier ausschließlich die Auswahl zwischen „Herr“ und „Frau“ angeboten. Der EuGH hinterfragte, ob die Datenverarbeitung – in diesem Fall die Angabe einer Anrede – für den Abschluss des Vertrags erforderlich ist. Auslegung der DS-GVO Die zuvor befasste französische Datenschutzbehörde lehnte den Antrag auf Überprüfung der binären Anrede ab. Sie war der Ansicht, Online-Ticketverkäufe seien Teil des geschäftlichen Alltags, sodass weite Maßstäbe anzulegen seien. Der EuGH hingegen vertrat eine wesentlich restriktivere Auslegung der DS GVO und lehnte im vorliegenden Fall letztendlich die datenschutzrechtliche Zulässigkeit einer binären Anrede ab. In seinem Urteil überprüfte er die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 lit. a), b) und f) DS-GVO. II. Datenverarbeitung zur Erfüllung des Vertrages Nach Art. 6 Abs. 1 lit. b) DS-GVO kann die Verarbeitung von Daten zur Erfüllung des Vertrags erforderlich sein. Der EuGH hat hierzu mehrfach klargestellt, dass die Datenverarbeitung zur Vertragserfüllung objektiv unerlässlich sein und die verantwortliche Person nachweisen muss, dass der Vertrag ausschließlich durch die entsprechende Verarbeitung erfüllt werden kann. Die bloße Erleichterung der Vertragsabwicklung reicht nicht aus. Das bedeutet für den vorliegenden Fall, dass die vertraglichen Dienstleistungen so beschaffen sein müssten, dass sie sich nur an eine bestimmte Geschlechtsidentität richten – ein Kriterium, das in den seltensten Buchungsszenarien gegeben sein dürfte. Die Gegenseite brachte vor, dass die Verarbeitung in Form der binären Anrede unerlässlich sei, um den Bedürfnissen der Reisenden gerecht zu werden, beispielsweise bei Platzreservierungen für Frauen in Nachtzügen. Weiter entspräche die Anrede mit „Herr“ oder „Frau“ der gängigen Verkehrssitte. Nach dem EuGH fehlt es an dieser Notwendigkeit. Zum einen beträfen nicht alle Ticketbuchungen Nachtzüge und zum anderen gäbe es neben der binären Anrede andere Möglichkeiten der Ansprache. Demnach ließe sich die vorliegende Datenverarbeitung nicht auf Art. 6 Abs. 1 lit. b) DS-GVO stützen. III. Datenverarbeitung zur Wahrung berechtigter Interessen Die Zulässigkeit der Verarbeitung könnte sich aber aus der Wahrung berechtigter Interessen nach Art. 6 Abs. 1 lit. f) DS-GVO ergeben. Dazu müsste die verantwortliche Person nachweisen, dass ihrerseits berechtigte Interessen bestehen, die die Datenverarbeitung erforderlich machen und sich in einer Interessenabwägung im konkreten Einzelfall keine überwiegenden Interessen der betroffenen Personen ergeben. Das berechtigte Interesse ist weit zu fassen und umfasst grundsätzlich alle anerkannten, nicht rechtswidrigen Belange der Verantwortlichen. Marketingzwecke oder geschäftliche Konventionen können also derartige Interessen darstellen. Ein Erfordernis der Datenverarbeitung ist allerdings nur dann zu bejahen, wenn das berechtigte Interesse nicht ebenso wirksam mit anderen, weniger eingriffsintensiven Mitteln in zumutbarer Weise erreicht werden kann. Alternativ zur Verwendung der binären Anrede könnte im vorliegenden Fall eine allgemeine Ansprache gewählt oder ein Freitextfeld zur Verfügung gestellt werden. Jedenfalls überwiegen aber die Interessen der betroffenen Personen, sodass die Interessenabwägung – in welcher auf Seiten der Betroffenen insbesondere das Recht auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten zu berücksichtigen sind – gegen eine Verarbeitung nach Art. 6 Abs. 1 lit. f) DS-GVO spricht. Personen mit einer nicht binären Geschlechtsidentität sind nach dem BVerfG in der Gesellschaft besonders schützenswert (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.10.2017 – 1 BvR 2019/16). IV. Datenverarbeitung nach Einwilligung Das Gericht beleuchtete auch die Möglichkeit einer Einwilligung in die Datenverarbeitung nach Art. 6 Abs. 1 lit. a) DS-GVO. Deren Zulässigkeit im konkreten Fall ließ der EuGH in seiner Entscheidung offen, verwies aber auf die praktischen Schwierigkeiten einer Einwilligung in die Datenverarbeitung im Rahmen des Buchungsprozesses. Im Hinblick auf den Grundsatz der Datenminimierung aus Art. 5 Abs. 1 lit. c) DS-GVO könnten nutzerfreundliche Abläufe gefährdet werden. Darüber hinaus könnte eine Einwilligung in die Datenverarbeitung durch die betroffene Person jederzeit widerrufen werden, sodass es sich hierbei um eine wenig praktikable Lösung handele. V. Verbandsinitiative und Vorabentscheidungsverfahren Eine Besonderheit des Falles bestand darin, dass die Initiative zur Einleitung des Ausgangsverfahrens nicht von einer betroffenen natürlichen Person, sondern von einem französischen Verband ausging, welcher sich gegen Diskriminierung aufgrund des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung einsetzt. Nach Art. 80 DS-GVO können die Mitgliedsstaaten bei der Verletzung von Datenschutzrechten auch Klagen und Beschwerden von Verbänden zulassen, was sowohl im französischen als auch im deutschen Recht umgesetzt wurde. Das nationale Gericht ersuchte sodann den EuGH um Auslegung der DS-GVO im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art. 267 AEUV. VI. Sanktionen und Bußgelder bis zu 20 Millionen Euro Die zuständige Aufsichtsbehörde kann bei Verstößen gegen Art. 6 DS-GVO weitreichende Maßnahmen ergreifen. Neben der Verwarnung des Unternehmens oder der Anweisung zur Berichtigung und Löschung der Daten können nach Art. 83 DS-GVO Bußgelder in Höhe von bis zu 20 Millionen Euro oder 4 Prozent des Jahresumsatzes eines Unternehmens verhängt werden. Darüber hinaus können betroffene Personen gemäß Art. 82 DS-GVO Ersatz für die Schäden verlangen, die ihnen durch die ungerechtfertigte Verarbeitung ihrer Daten entstanden sind. Auch die öffentliche Wahrnehmung spielt eine entscheidende Rolle: Die Bekanntmachung eines Verstoßes kann zu einem erheblichen Reputationsverlust für das Unternehmen führen und das Vertrauen der Kunden nachhaltig erschüttern. VII. Auswirkungen auf den Online-Handel Das Urteil des EuGH könnte wesentliche Auswirkungen auf den Online-Handel haben. Unternehmen sind dazu angehalten, ihre Formulare und Datenverarbeitungsprozesse anzupassen, um deren datenschutzrechtliche Zulässigkeit und gesellschaftliche Inklusivität zu gewährleisten und teure Bußgelder sowie Imageschäden zu vermeiden. Dies gilt nicht nur für den Online-Ticketverkauf, sondern lässt sich auch auf andere Geschäftsmodelle, bei denen personenbezogene Daten erhoben werden, erweitern. Zur Umsetzung der Vorgaben des EuGH könnte die Frage nach der Geschlechtsidentität entfernt und durch neutrale Anredeformen – zum Beispiel „Guten Tag“ – ersetzt werden. Alternativ könnte das im Rahmen einer Buchung auftretende Feld zur Anrede insoweit umgestaltet werden, dass Unternehmen den Nutzern ein Freitextfeld zur Verfügung oder weitere Optionen – beispielsweise „divers“ oder „keine Angabe“ – zur Auswahl stellen. VIII. Fazit Der EuGH stellt in seinem Urteil klar, dass die verpflichtende Auswahl einer binären Anrede nicht mit den Prinzipien der DS-GVO vereinbar ist, sofern keine unerlässliche Notwendigkeit einer solchen Ansprache für die Erfüllung und Durchführung des Vertrages besteht. Die Anforderungen an die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung im Sinne von Art. 6 Abs. 1 DS-GVO sind demnach eng auszulegen. Unternehmen sollten daher ihre Datenverarbeitungsprozesse kontrollieren und unklare oder pauschale Abfragen nicht ohne vorherige datenschutzrechtliche Prüfung einsetzen. Schließlich öffnet das Urteil Raum für weiterführende Diskussionen zur zukünftigen Ausrichtung der Verarbeitung personenbezogener Daten und verdeutlicht, dass zur Gewährung von Datenschutz im digitalen Zeitalter Anpassungsfähigkeit gefordert wird. Sie möchten mehr dazu erfahren und sich mit uns in Verbindung setzen? Nehmen Sie gerne z.B. über unser Kontaktformular Kontakt mit uns auf.

Mit dem Koalitionsvertrag „Verantwortung für Deutschland“ haben die Regierungsparteien (CDU, CSU und SPD) ihre steuerpolitische Agenda für die kommende Legislaturperiode vorgestellt. Neben Reformen im Unternehmenssteuerrecht setzt der Vertrag auch auf finanzielle Entlastungen für Privatpersonen, die Förderung von Investitionen und Digitalisierung sowie erste Schritte in Richtung Bürokratieabbau. Dieser Beitrag fasst die wichtigsten Vorhaben im Steuerbereich verständlich zusammen. I. Änderungen im Unternehmenssteuerrecht Ein zentrales Anliegen der neuen Koalition ist die Anpassung der steuerlichen Rahmenbedingungen für Unternehmen, die Regierung plant in diesem Bereich: a) Senkung der Körperschaftsteuer: Ab 2028 soll der Körperschaftsteuersatz – also die Steuer, die Kapitalgesellschaften auf ihre Gewinne zahlen – in fünf Schritten jährlich um einen Prozentpunkt gesenkt werden. Bis 2032 würde der Satz somit von 15% auf 10 % fallen. b) Einheitliche Besteuerung von Neugründungen: Geprüft werden soll außerdem, ob ab 2027 alle neu gegründeten Unternehmen – unabhängig von ihrer Rechtsform – pauschal der Körperschaftsteuer unterliegen können. Dann würde für alle jungen Betriebe zunächst das gleiche Steuerregime gelten, egal ob sie als GmbH, Einzelunternehmen oder Personengesellschaft starten. c) Investitions-Booster: Für die Jahre 2025 bis 2027 ist eine degressive Abschreibung in Höhe von 30 Prozent auf Ausrüstungsinvestitionen geplant – etwa für die Anschaffung von Maschinen oder technischen Geräten. Unternehmen können so einen größeren Teil der Anschaffungskosten direkt im ersten Jahr steuerlich geltend machen. Die Koalition möchte so Investitionen ankurbeln. d) Anhebung des Mindesthebesatzes bei der Gewerbesteuer: Um innerdeutsche „Steueroasen“ zu vermeiden, soll der Mindesthebesatz der Gewerbesteuer von 200 % auf 280 % steigen. Damit sollen alle Kommunen verpflichtet werden, ein gewisses Mindestmaß an Gewerbesteuer zu erheben – das sorgt für fairere Wettbewerbsbedingungen zwischen den Städten und Gemeinden. Für Unternehmen bedeutet dies jedoch unter Umständen eine höhere Gewerbesteuer. e) Modernisierung der Besteuerung von Personengesellschaften und Einzelunternehmen: Auch bei der Besteuerung von Personengesellschaften – also zum Beispiel bei einer GbR, OHG oder KG – und Einzelunternehmen kündigt die Koalition Verbesserungen an. Konkret geht es um steuerliche Sonderregelungen, namentlich um die sogenannte Thesaurierungsbegünstigung nach § 34a EStG, bei der eine Verschiebung der Besteuerung in die Zukunft möglich wird, sowie das sogenannte Optionsmodell nach § 1a KStG, bei dem insbesondere Personengesellschaften freiwillig wie Kapitalgesellschaften besteuert werden können. Was genau verbessert werden soll, bleibt im Koalitionsvertrag allerdings unklar. f) Einfuhrumsatzsteuer Verrechnungsmodell: Die Koalition plant, die bisherige Vorauszahlung der Einfuhrumsatzsteuer abzuschaffen. Stattdessen soll ein Verrechnungsmodell eingeführt werden. Es ist geplant, dass das Unternehmen statt Geld an den Zoll zu überweisen und später über das Finanzamt zurückzuerhalten, die fällige Einfuhrumsatzsteuer einfach mit der regulären Umsatzsteuerschuld verrechnet wird. Das könnte Unternehmen Liquidität und Zeit sparen. II. Steuerpläne für Privatpersonen Auch für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Rentnerinnen und Rentner sieht der Koalitionsvertrag steuerliche Entlastungen vor: a) Einkommensteuer: Für kleine und mittlere Einkommen plant die Regierung eine Senkung der Einkommensteuer – allerdings erst in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode. Wann genau und in welchem Umfang diese Entlastung kommen soll, bleibt im Koalitionsvertrag allerdings offen. b) Steuerfreie Überstundenzuschläge: Zuschläge für Überstunden, die über die reguläre vertraglich oder tariflich vereinbarte Arbeitszeit hinausgehen, sollen künftig steuerfrei sein. Damit will die Regierung Anreize für zusätzliche Arbeitsleistung schaffen. c) Anreize für längeres Arbeiten im Alter: Wer über das gesetzliche Renteneintrittsalter hinaus arbeitet, soll bis zu 2.000 Euro monatlich steuerfrei verdienen dürfen. Damit sollen ältere Arbeitnehmer ermutigt werden, freiwillig länger im Berufsleben zu bleiben. d) Teilzeit auf Vollzeit: Prämien, die Arbeitgeber zahlen, wenn Beschäftigte von Teilzeit in Vollzeit wechseln, sollen steuerlich begünstigt werden – vorausgesetzt ist aber wohl, dass die neue Vollzeitstelle sich an geltenden Tarifverträgen orientiert. So soll mehr Arbeitskraft aktiviert und dem Fachkräftemangel begegnet werden. e) Arbeitstagepauschale: Geplant ist zudem die Einführung einer Arbeitstagepauschale, mit der Werbungskosten für Arbeitnehmer pauschal erfasst werden sollen. Wie diese neue Pauschale konkret ausgestaltet wird und welche bisherigen Abzugsmöglichkeiten dadurch möglicherweise entfallen, ist derzeit ebenfalls unklar. III. Digitalisierung und Bürokratieabbau Die neue Regierung setzt auf Vereinfachung und Digitalisierung im Steuerrecht: a) Selbstveranlagung für Unternehmen: Körperschaften und Personengesellschaften sollen künftig ihre Steuererklärungen eigenverantwortlich erstellen und einreichen – die sogenannte Selbstveranlagung soll schrittweise eingeführt werden. b) Mehr digitale Steuererklärungen: Die elektronische Abgabe von Steuererklärungen soll zur Regel werden. Für einfache Fälle sind zudem automatisierte und vorausgefüllte Steuererklärungen geplant – ein Schritt hin zu weniger Aufwand für Steuerpflichtige. IV. Umsatzsteuersatz für Speisen Der Umsatzsteuersatz für Speisen in der Gastronomie soll ab Januar 2026 dauerhaft auf 7% reduziert werden. Mit dieser Maßnahme will die Regierung die wirtschaftliche Stabilität der Gastronomiebetriebe sichern und Arbeitsplätze in der Branche erhalten. Die Absenkung war ursprünglich als Krisenmaßnahme eingeführt worden – nun soll sie als strukturelle Unterstützung dauerhaft bestehen bleiben. V. Mitarbeiterkapitalbeteiligung Beschäftigte sollen künftig stärker am Unternehmenserfolg beteiligt werden können. Die Regierung plant, die sogenannten Mitarbeiterkapitalbeteiligungen durch einfachere steuerliche und sozialversicherungsrechtliche Regelungen attraktiver zu machen. Konkrete Maßnahmen sind im Koalitionsvertrag allerdings noch nicht genannt. VI. Stromsteuer Zur kurzfristigen Entlastung der Bürgerinnen und Bürger plant die Koalition eine Senkung der Stromsteuer für Unternehmen und Verbraucher auf das europarechtlich zulässige Mindestmaß. Ziel ist eine Reduzierung des Strompreises um mindestens fünf Cent pro Kilowattstunde. VII. Förderung von E-Mobilität und Mobilität allgemein a) E-Mobilität: Die steuerliche Förderung von Elektro-Dienstwagen soll ausgeweitet werden. Dazu soll die Preisgrenze für begünstigte Fahrzeuge auf 100.000 Euro angehoben werden. Außerdem sind eine Sonderabschreibung für Elektrofahrzeuge sowie eine Kfz-Steuerbefreiung bis 2035 vorgesehen. b) Pendlerpauschale: Ab dem Jahr 2026 soll die Pendlerpauschale auf 38 Cent pro Kilometer ab dem ersten Kilometer erhöht werden. VIII. Solidaritätszuschlag Der Solidaritätszuschlag soll weiterhin bestehen bleiben – daran ändert sich auch mit dem neuen Koalitionsvertrag nichts. Diese Entscheidung steht im Einklang mit einem aktuellen Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26.03.2025. Das Gericht hat klargestellt, dass der Gesetzgeber nicht verpflichtet ist, den „Soli“ vollständig abzuschaffen. Die Bundesregierung sieht insofern keinen Handlungsbedarf. Eine Änderung an der bestehenden Regelung wird es nicht geben. Fazit: Viel Ankündigungen – Wenig Konkretes Der Koalitionsvertrag 2025 enthält zahlreiche steuerpolitische Vorhaben, darunter Entlastungen, Investitionsanreize und Digitalisierungsschritte. Allerdings bleiben viele dieser Vorhaben bislang auf der Ebene von Absichtserklärungen. Wie und ob sie konkret umgesetzt werden, ist offen und wird sich erst im Laufe der Legislaturperiode zeigen. Steuerpflichtige – ob privat oder unternehmerisch – sollten daher aufmerksam bleiben und die weitere Entwicklung genau verfolgen. Sollten Sie zu den steuerlichen Themen Fragen haben oder eine individuelle Beratung wünschen, stehen wir Ihnen jederzeit gerne zur Verfügung. Nehmen Sie hierzu Kontakt zu unserem Kollegen Nils Pinzke auf oder f üllen Sie das Kontaktformular aus. Wir danken unserem Rechtsreferendar Jan Haupt für die tatkräftige Unterstützung zu diesem Beitrag.